Mittwoch, 25. Februar 2009

Very sexy

Aus gegebenem Anlass eine Erinnerung an meine Großmutter. Eine einfache Frau, ein uneheliches Kind, eine Magd, die später einen Arbeiter im Steinbruch heiratete - meinen Großvater. Nach seinem frühen Tod lebte sie nahezu bedürfnislos, aber nicht unzufrieden in einer kleinen, düsteren 2-Zimmer-Wohnung in Nürnberg. Herd und Spüle hatten die Kargheit von Nachkriegsinventar. Das Mondänste in der ganzen Wohnung waren die Fernsehzeitschriften im Flur ("Hörzu"). Meine Großmutter war nicht geizig, sie war sparsam. Wenn sie zu uns kam, tauchte sie trockene Bamberger Hörnchen, die sie mitgebracht hatte, in den Kaffee. Ich machte es ihr nach.

Immer nach der Tagesschau um 20.15 Uhr genau packte sie ihre Handtasche, ging in den Flur und stand dort bei offener Wohnzimmertür, bis mein Vater kam und sie nach Hause fuhr. Oder mein Bruder oder noch später ich. Meine Großmutter war kein schwieriger Fahrgast. Nur das Anschnallen war ihr zuwider. Ihr spärliches Repertoire an Fragen wiederholte sie von Fahrt zu Fahrt, ohne Vertiefung zu erwarten. Sie beteuerte, wie wichtig heutzutage ein Führerschein wäre, und bewunderte meine Fahrkünste. Was ihr nicht schwer fiel, da sie nicht einmal einen Telefonapparat bedienen konnte, ohne in Schweiß auszubrechen. Und sie wollte jedes Mal wissen, ob ich eine Freundin hätte. Ich lasse mir Zeit!, antwortete ich, was ihr sofort einleuchtete.

Immer wenn sie zu Besuch kam, schenkte sie uns ein 5 Mark Stück und immer dieselbe Schokolade, die mein Bruder und ich schon lange nicht mehr essen wollten. Sie stapelte sich im Wohnzimmerschrank. Meine Mutter meinte, mein Vater sollte endlich einmal den Mut aufbringen, seiner Mutter zu sagen, dass uns die Schokolade nicht schmeckt. Doch alte Frauen sind stur, von stiller Autorität, und meine Großmutter war nicht für Abwechslung. Zum Geburtstag und zu Weihnachten gab es für uns Kinder einen 20-Mark-Schein, für meine Mutter nichts und für meinen Vater Schiesser-Feinrippunterwäsche. Besondere Kennzeichen: Doppelripp mit Eingriff, ganz schnell ausgeleierter Gummizug. Was will man mit 50 dieser Dinger im Schrank? Auch hier brachte mein Vater den Mund nicht auf. 

1986 ist meine Großmutter gestorben, die Lieferung von Schokolade und Unterwäsche hörte auf. Es war auch für Schiesser-Feinripp der Anfang vom Ende. Nie ist es dem Traditionsunternehmen gelungen das fatale Image abzustreifen, Liebestöter zu produzieren. Jetzt hat Schiesser Insolvenz angemeldet.

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