Montag, 7. Juli 2008

Die Unentschlossene


Wenn sie doch nur wüsste, was sie will! Und warum ist es so furchtbar schwer, das zu wissen? Schon wenn sie im Restaurant sitzt, ist die Frage, welches Gericht sie wählen soll, eine einzige Überforderung. Sie entscheidet sich zwar, doch noch bevor der Teller kommt, zweifelt sie schon daran, ob das darauf Angerichtete wirklich ihren Geschmack trifft. Freunden und dem eigenen Ehemann gibt sie ständig Rätsel auf. Denn das Gericht, von dem sie einmal verlauten ließ, es sei eines ihrer Lieblingsspeisen, mundet ihr auf einmal nicht mehr, was sie aber nicht daran hindert, kurze Zeit später erneut davon zu schwärmen. Und so geht es ihr mit vielen Dingen. 

Ein Buch lobt sie, ist aber schnell bereit, eine Kehrtwende hinzulegen und daran herumzumäkeln, hat aber ebenso wenig ein Problem, später wieder zurückzurudern, so dass man am Ende gar nicht mehr weiß, welches Urteil da gefällt wurde und man fast meinen kann, sie habe es gar nicht gelesen. Was im übrigen durchaus sein kann. Schließlich weiß sie auch nicht, ob sie gerne liest. Was sie hingegen wenn nicht weiß, dann doch wenigstens ahnt, dass Bücher zu lesen eine sinnvolle Tätigkeit ist, und da will sie doch gerne dabei sein, wobei ihr selbst hier noch ein Gefühl der Verunsicherung bleibt, denn nicht alle Bücher haben den gleichen guten Ruf. Manche gelten sogar als ausgesprochener Schund, so dumm ist sie nun auch nicht, dass sie das nicht schon bemerkt hat. 

Will der Ehemann mit ihr spazieren gehen, weiß sie nicht, ob ja, ob nein, soll der Flur renoviert werden, kann sie sich für keine Farbe entscheiden, von gewichtigeren Dingen wie Konzertbesuchen, Urlaubsreisen oder Anschaffungen von Haustieren gar nicht zu reden. Woher kommt es bloß, dass ich nicht weiß, was ich will?, fragt sie sich selbstkritisch und trinkt eine Tasse Tee, von dem sie sich sicher ist, dass sie ihn zu trinken wünscht. Hat man sie als Kind zu selten gefragt, worauf sie Lust hat und was sie möchte? Hat man ihr in den ersten Lebensmonaten oder Jahren zu wenig Reize und Anregungen geboten, nach denen sie später ihre Hände hätte selbstbewusst ausstrecken können: ja, das da will ich! Sie weiß es nicht. Stets dankbar ist sie deshalb für Empfehlungen, was für sie zu wollen, sinnvoll sei. Dem Arzt, der ihr einen erhöhten Cholesterinspiegel bescheinigt hat, ist sie unendlich dankbar und küßt ihm die Hände. Ihm hat sie einen Satz zu verdanken, den sie mit einer Selbstgewissheit aussprechen kann, an der es in ihrem Leben ansonsten hinten und vorne fehlt: Ich möchte keine Eier essen!

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Danke jueb,
du hast mir das Mysterium gelüftet, warum Verlage heutzutage immer länger brauchen, um Entscheidungen zu treffen...
Aber ich will jetzt nichts über den Beruf deiner Unentschiedenen spekuliert haben. ;-)

Grüßle,
Petra

jueb hat gesagt…

Ich kann nur hoffen, dass meine Mutter hier nicht mitliest und, dass der Apfel hoffentlich weit vom Stamm fiel... :-)

Herzlichst
jueb

Anonym hat gesagt…

Ich bin immer wieder erstaunt, wer so alles in meinem Blog mitliest - der ganze Verlag, meinte neulich eine Mitarbeiterin des selben. Und sogar der Freund meiner Tochter, der "Kreativ putzen" las und elegant konterte, als meine Tochter meinte, sie müsste jetzt erst Bad putzen, bevor sie Zeit für ihn hätte: Das könnte ich doch machen. Dabei kämen mir ja immer die besten Ideen. Also, jueb, ob deine Mutter wirklich nicht mitliest ...

LG
Inge

jueb hat gesagt…

ja, liebe Inge, da hast du recht, das hier ist gefährliches Terrain... By the way: rate mal, wie meine Mutter heißt?

Herzlichst
jueb

teamor hat gesagt…

Ich bin für Inge :-)

Stimme aus dem off, die dich jetzt auch verlinkt, weil sie sonst immer Umwege gehen muss, um an deine köstichen (und oft auch tröstlichen) Einträge zu kommen. Ich hoffe, du erträgst eine weitere Ösi-Connection...
Liebe Grüße
Gabi

jueb hat gesagt…

Hallo Gabi,

noch eine Ösi-Connection trag ich gerne und vom Herzen..

Außerdem hast du gleich richtig getippt :-)

Herzlichst
jueb

Inge Löhnig hat gesagt…

Ne, darauf wäre ich ja nie gekommen.

Irgendwie erinnere ich mich vage, dass du im Forum die Unentschlossene mal vorgestellt hast und wissen wolltest, wie sich eine solche Figur literarisch verwenden ließe. Täusche ich mich?

LG
Inge

jueb hat gesagt…

Ja, so ist es!
Da sie nicht vor sich hinschimmeln sollte, musste sie in meinen Blog.

Herzlichst
jueb