Mittwoch, 14. Mai 2008

Journalisten auf Emanzipationstrip


„Immer mehr...“ Sätze, die so anfangen, gehören eigentlich in den Müll. Wagen wir’s trotzdem. Immer mehr Journalisten schreiben Romane. Das muss nicht im Fiasko münden. Im Gegenteil. Harald Martenstein, Dirk Kurbjuweit, Alexander Osang oder auch Elke Schmitter haben Akzeptables, zum Teil gar Großartiges zustande gebracht. Dabei schreiben Journalisten-Romanciers stets auf Messers Schneide. Zwar verfügen sie über einschlägige Medienkontakte, die beim Bewerben des Romandebüts sehr nützlich sein können, andererseits warten Kollegen aus dem Feuilleton nur darauf, die Schreibversuche auf fachfremdem Terrain zu zerfetzen. Die Fallhöhe ist enorm, besonders wenn der Rezensierte früher selbst rezensiert hat (womöglich gar sehr garstig).

Warum tun sich Journalisten das also an und schreiben trotzdem Romane? Sind sie zu wenig ausgelastet, langweilt sie das tägliche Einerlei des Redaktionsalltags? Sind sie der Vierspalter, die maximal zu füllen sind, überdrüssig geworden? Oder haben sie gar etwas zu sagen, was sich nur in Romanform mitteilen lässt?

Die Antwort geht weit darüber hinaus. Journalisten führen eine parasitäre Existenz. Und ihre Eitelkeit ist nichts als ein Schutzschild gegen den eigenen Minderwertigkeitskomplex (also verzeihlich). Ohne das Ereignis, die Katastrophe, den Skandal und die Premiere wäre der Journalist ein Nichts (also gar nicht vorhanden), denn über was sollte er sonst berichten? Diese berufsimmanente Schmarotzerei gefährdet die Existenz. So jammern Journalisten an trüben Tagen: „Ich kann nichts anderes als schreiben“.  An noch trüberen Tagen wissen sie, nicht einmal das ist wirklich sicher und kann auch erst am Ende des Berufslebens bewiesen werden.

Bis dahin gibt es nur eine Losung: schreiben, schreiben, schreiben und versuchen, sich dem Parasitismus zu entwinden. Am besten über  das Sprungbrett in die Fiktion. Am besten mit einem Roman, der edelsten Gattung von allen. Gelingt das, ist es gleich eine doppelte Emanzipation. Man hat sich aus der Abhängigkeit des Faktischen befreit. Und als besonderen Triumph einen anderen zum Parasiten gemacht. Vorausgesetzt es findet sich jemand, der einen auch rezensiert.... 

12 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

"Ohne das Ereignis, die Katastrophe, den Skandal und die Premiere wäre der Journalist ein Nichts..."

Lieber Kollege, das weißt du aber besser: Die wahre Katastrophe, der wahre Skandal wird von Journalisten GEMACHT! Und weil wir von diesem Halbgottgehabe als Droge so schwer runterkommen, lassen wir dann auch noch fiktiv die Puppen tanzen, oder?

fragt frech Küchenschabe Petra

Anonym hat gesagt…

Das sind sehr viele und zum Teil gewagte Behauptungen. Eindeutig Journalist, der gute Mann. Eindeutig ein Mann und keine Frau. Immer gleich aus allem eine These machen. Oder ist es eine Hypothese? "Ich empfinde es folgendermaßen", stünde auch Herren nicht schlecht. Aber nein, immer mehr, pardon, ganz viele Journalisten nehmen in Sippenhaft. Machen, wie Petra schon so klug anmerkte, ein Phänomen aus etwas, das lapidar vorhanden ist. Und das Halbgottgehabe - ja, das ist vorhanden. Und nervt. Man möchte ja nicht mit selbsternannten Halbgöttern zusammenleben auf diesem Erdenrund, sondern mit Menschen.
Aber trotzdem habe ich die Überlegungen mit Interesse gelesen. Es stimmt ja auch - der Journalist ist Parasit. Man kann es aber auch positiv ausdrücken: Er ist ein Medium. Und wenn er andere verrissen hat, bevor er sich selbst dem Fallbeil stellt, hat er es natürlich schwer.
Warum wechselt man in die Literatur über? Ich glaube, da gibt es so viele Beweggründe wie Fahnenflüchtige.

Anonym hat gesagt…

OOPS!

Das liest sich aber sehr angriffslustig, was ich soeben schrieb. Also füge ich fix viele liebe Grüße hinzu. Denn ich meinte es "vertrauens-und-gedankenvoll-keck".
(Was das wohl heißen soll?)

jueb hat gesagt…

Hallo die Damen,

sehr interessant beide Postings, haben beide auch was für sich.

Allerdings fühl(t)e ich mich nie so wirklich als Journalist, der Ereignisse halbgottgleich zu schaffen weiß, sondern als jemand, der unter potentiellen Ereignissen ein Ereignis herausgreift und versucht dieses zur Präsenz zur verhelfen. Deshalb misstraue ich auch der These, Skandale werden von Journalisten gemacht, sonder glaube eher, wir skandalisieren das, was man uns schon als perfiden Köder hinwirft. Journalisten sind oft genug eben einfach die Handlanger anderer Interessen.

Oft genug habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich bei Redaktionen mit bestimmten Themen nicht durchkomme. Es gibt tatsächlich immer noch genügend wichtige Themen, die sich gerade nicht zum Ereignis machen lassen. So werden jedes Jahr, ich weiß nicht mehr von welcher journalistischen Institution, die zehn Themen ermittelt, die obwohl zentral wichtig, von den Medien vernachlässigt worden sind.

Herzlichst
jueb

Formulierungen wie "Ich empfinde es folgendermaßen" setze ich eigentlich ungesagt voraus, weil ich ja nur meine eigene Meinung sagen kann. Und ich versuche meine Texte möglichst "entschlackt" zu schreiben.

Anonym hat gesagt…

Lieber Jürgen,

ich glaube, da kommen wir der Sache näher: Es gibt nicht "den" Journalisten, sondern verschiedene "Arten" mit verschiedenen Beweggründen.

Das mit der Formulierung, die eine andere voraussetzt, verstehe ich jedoch nicht ganz. Hat nicht jede Formulierung ihre eigene Wahrheit? Ist es nicht etwas anderes, ob ich etwas allgemeingültig formuliere oder schreibe "Ich habe den Eindruck, dass" ?

Dass Du nicht zu Halbgöttern gehörst, habe ich mir fast ein bisschen gedacht :-)
In dem Moment, in dem man so formuliert, wie "sie" es tun, reiht man sich da aber ein, oder nicht?

Viele liebe Grüße:
Christine

jueb hat gesagt…

Morgen, liebe Christine,

das ist womöglich eine Stil- bzw. Geschmacksfrage, aber Formulierungen wie "Ich habe de Eindruck, dass.." und "Ich empfinde es folgendermaßen" empfinde ich bzw sind für mich redundant. Wenn jemand so etwas schreibt, denke ich mir, komme zur Sache, sage mir deine Meinung, deine These. Stehe dazu. Und dann kann man darüber diskutieren.

herzlichst:
jueb

Anonym hat gesagt…

Genau. Ich habe die Sache mit den Parasiten übrigens genauso augenzwinkernd gelesen wie die mit den Halbgöttern geschrieben (wobei ich natürlich gern zu Überspitzung und Polemik neige). Ich finde, da wir beide Küchenschaben, äh Journalisten sind, dürfen wir uns auch über uns selbst lustig machen, gell?

Als ich belletristisch anfing, schallte es mir übrigens aus Verlagen entgegen: Um Himmels Willen, schon wieder eine Journalistin, die Romane schreiben können will! Die haben doch keine Fantasie.
Als ich dann mit Vertrag anfing, hieß es: Klasse, eine Journalistin, die weiß, was Abgabetermine und Disziplin sind.

Wie man's macht, macht man's falsch...

Augenzwinkernd,
Petra

jueb hat gesagt…

PS: Gibt es eigentlich Romanautoren, die zu Journalisten mutierten?

Mir fällt keiner ein!

Herzlichst:
jueb

Anonym hat gesagt…

Lieber Jürgen,

ich hab Dir mal gesagt, dass Ich Dich gerne lese und das stimmt auch immer noch. Meine Anm,erkung bezog sich nicht auf Dich, wenngleich ich mir im Nachhinein die Frage stellte, wo ich Unterschiede mache. Hängt es davon ab, ob ich mit jemandem in Kontakt stehe? Vielleicht ein bisschen. Getreu dem Motto "Schreib, was du sagen willst. Und nicht, was du nicht sagen willst." empfinde ich es als verwässernd, wenn man etwas voraussetzt, das man nicht formuliert. Anders herum könnte die Formulierung "Es sieht so aus" oder "Ich habe den Eindruck, dass" ja auch nicht beinhalten, dass es sich um eine sbolute Wahrheit handelt. Wissenschaftler differenzieren, wenn befragt. Und dann kommt der Journalist daher und stampft alles zu einem Konsens ein. Das mag in gewissen Fällen nützlich sein. In anderen ist es das nicht.

Ich zum Beispiel empfinde überhaupt keine Eitelkeit ob des Schreibens. Und ich seufze auch nie "Ich kann nichts anderes". Ich könnte sehr wohl etwas anderes, wenn ich es nur wollte. Lackierer kann wohl fast jeder werden oder zur Stadtreinigung gehen. Insofern verstehe ich auch nicht, wieso die Eitelkeit ein Schutzschild sein sollte. Wovor?
Genauso wenig finde ich es verwässernd, wenn ich (wie Du es empfindest) schwammige Formulierungen wähle, die (wie ich es empfinde) einfach nur ehrlich sind. Der Punkt, das Thema, die Sache kommt anschließend. "Könnte man den Eindruck haben, dass" lässt auch noch viel Spielraum, ohne zu "ich-ig" zu geraten. Aber Du hast es ja selbst schon gesagt - es ist eine Geschmacks- und Stilfrage. Dennoch halte ich es für eine Art Grundproblem des Journalismus, dass viel zu oft viel zu resolut formluiert wird. Und da finde ich Petras Einwurf (auch wenn er scherzhaft gemeint war) wegweisend: Es hat etwas Halbgott-artiges.

Just my two cents.
Und auf jeden finde ich: Gut, dass wir mal darüber geredet haben :-)

Anonym hat gesagt…

Mir fällt übrigens auch keiner ein.

Anonym hat gesagt…

Ich glaube, das Umgekehrte war während der Französischen Revolution gang und gäbe.

"Petras Einwurf (auch wenn er scherzhaft gemeint war) wegweisend: Es hat etwas Halbgott-artiges."

Vorsicht, das habe ich so nicht gesagt! (Blogs eignen sich vom Medium her schlecht als Diskussionsforum...) Ich BIN Halbgöttin, wenn ich Welten entwerfe und Figuren an meinen Strippen tanzen lasse. Ich sehe zwischen Schreiben und Schöpfung, Autor und Demiurg starke Parallelen (wie in der Kunst überhaupt).
Stärkere sogar als beim Journalisten, der seine "Weltenauswahl" jeden Tag in der Redaktionskonferenz scheitern sehen kann, aber als Boulevardjournalist sich vielleicht mächtiger glaubt als er ist. So dass ich das mit dem Parasit gut nachvollziehen kann. (Wieder verkürzt und missverständlich ausgedrückt, und alles allgemein und nicht auf den Blogschreiber bezogen).

Denn manchmal ist man in "welt-bewegenden" Berufen auch mal "nur" Lackierer - obwohl Lackierer nun wirklich nicht jeder werden kann.

Herzlich,
Petra

PS:
"Grundproblem des Journalismus, dass viel zu oft viel zu resolut formluiert wird."

Es gibt unterschiedliche journalistische Formen wie in der Schriftstellerei auch. In einem Feature für GEO wird man sich mehr und anders ausbreiten als im Dreißigzeiler der Nachrichtenseite.

Was ich hier im Blog hauptsächlich lese, geht in Richtung Kolumne, vielleicht sogar Glosse. Die verlangen als "Genre" Subjektivität, Meinung, Sprachwitz, eine gewisse Knappheit und Zuspitzung, dürfen ironisch, polemisch und provokativ sein.
Wie man an den Kommentaren sieht, beherrscht Jürgen das meisterlich!

Anonym hat gesagt…

Ich bin eine kleine Gebetsmühle: Nichts liegt mir ferner als Jürgen anzugreifen. Oder klein zu reden. So glaube ich Dir, liebe Petra, dass er ein Meister ist und Du ein Halbgott :-) Inwiefern es einen Unterschied gibt zwischen sich wie ein Halbgott fühlen oder einer sein, weiß ich nicht.

Und mir fällt eines auf: Du forderst mich zur Differenzierung auf (nebenbei bemerkt habe ich Dich tatsächlich falsch verstanden bzw. es war für mich nicht eindeutig formuliert, was Du ausdrücken möchtest - und auch das meine ich nicht böse!), sagst aber, dass Zuspitzungen erlaubt sind. In Glossen. Oder Kolumnen. Zum Beispiel. In Kommentaren nicht? Auch diese Frage ist nicht bös gemeint.

Ich glaube übrigens, dass auch in GEO mal viel zu absolut formuliert wird. Oder im Spiegel. Oder so.

Und ich glaube, dass ein Boulevardjournalist sehr viel Macht hat. Und die Themenwahl der Chefredakteure der Macht eines Romanschreibers gleichkommt. Manchmal sogar inhaltlich.

Viele liebe Grüße mit einem Friedenspfeifchen,
Christine