Donnerstag, 8. Mai 2008

Miss Peggy Lee - Die Frau, die uns Fieber gab




Ungerecht ist das kollektive Gedächtnis. Als John F. Kennedy  am 19. Mai 1962 seinen Geburtstag in New York feierte, behielt die Nachwelt bis heute nur eines davon in Erinnerung. Wie Norma Jean Baker alias Marilyn Monroe, Sexikone und Ex-Geliebte Kennedys, ein zweideutiges „Happy Birthday, Mr. President“ ins Mikrofon hauchte. Bald darauf starb Monroe, ihr Mini-Ständchen wurde zur Legende und überstrahlte den Rest des Abends, dabei hatte die Party im Madison Square Garden noch ganz anderes zu bieten. Die damals populärste Sängerin Amerikas, auch eine Norma - Norma Delores Egstrom - wechselte gleich mehrmals ihre Garderobe, um den US-Präsidenten mit einem Liederreigen zu beglücken. Ihr Künstlername: Peggy Lee. Nur wenige Stars der Dekade konnten es mit ihr aufnehmen. Sängerin, Songwriterin und Schauspielerin in einem, mit warmer, zurückhaltend modulierender Stimme und einem unübertroffenen Instinkt für Liedmaterial, war Miss Peggy Lee die Ikone des amerikanischen Entertainments. Ausgehend vom Mainstream expandierte ihr musikalisches Talent lässig in alle Richtungen von Blues über Country zu Jazz, Latin und Samba hin zum Pop; Fans und Plattenkäufer irritierte das, Kritiker haderten: War Peggy Lee eine Jazzsängerin? Natürlich war sie eine.

1920 wird Norma Deloris Egstrom in Jamestown geboren, einer 6000 Seelenstadt in North Dakota. Sie hat sieben Geschwister. Die Eltern sind skandinavische Einwanderer, die Mutter stirbt, als Norma vier ist. Die Stiefmutter schlägt sie. In ihrem autobiografischem Musical „Peg“ (1983) - der einzige echte Flop in Peggy Lees Karriere - wird das im Song „One Beating a Day“ verewigt.  Die Familie ist arm, für ein Taschengeld melkt Norma Kühe; in die Kirche geht sie, um heimlich Klavier zu spielen. Als sie 14 ist, zieht die Familie in die nächste Großstadt, mit dem ersten elektrischen Strom kommt auch ein Rundfunkempfänger ins Haus. Bandleader Count Basie ist knisternd zu hören, Normas erstes Vorbild – später wird er sie musikalisch begleiten. Mit 15 singt sie in einer Lokalband und im Radio, ihr erster Mentor gibt ihr den Namen Peggy Lee. Mutig trampt sie mit 18 Dollar in der Tasche nach Hollywood, kehrt aber bald zurück. 1938 dann der Durchbruch – Klarinettist Benny Goodman sieht Peggy Lee bei einem Auftritt in Chicago und heuert sie für sein Swingorchester an, als Ersatz für Sängerin Helen Forrest, die zu Artie Shaw übergelaufen ist. Eine Ochsentour beginnt: Zwei Jahre lang rund um die Uhr Konzerte in Hotels, Theatern und Tanzhallen, Rundfunksendungen und Plattenaufnahmen. Eine Handvoll Hits führt die Newcomerin in die Charts, darunter den veritablen Gassenhauer „Why don’t you do right?“ Dann tat Peggy Lee das, wozu Bandsängerinnen bis heute neigen. Sie heiratet ihren Gitarristen, Dave Barbour, Peggy wird schwanger, doch beim Stillen des Babys komponiert sie schon wieder. Sie unterschreibt einen Plattenvertrag bei Capitol, dem wichtigsten weißen Independent-Label der 40er Jahre. Nachdem ihr Mann eine schwere Magenblutung überlebt hat, schreibt das Paar, trunken vor Euphorie, „Manana“ (1948), eine Nonsense-Nummer mit der Camp-Ikone Carmen Miranda und „The Brazilians“ als Begleitung. Zweieinhalb Millionen Mal verkauft sich die Scheibe, echte Trashkunst, heute wie damals. Barbours Alkoholismus lässt die Ehe langsam zerbröseln, ändert aber wenig an Peggy Lees  Treue. Nach drei weiteren gescheiterten Ehen - „Es waren keine Hochzeiten, eher schon lange Cocktailpartys“ – will es der Star nochmals mit Gatten Nr. 1 versuchen - vier Tage später stirbt Barbour. Wie viel Hingabe Peggy Lee in die Liebe ihres Lebens steckte, lässt der Film „Pete Kelly’s Blues“ (1955) erahnen. In ihrer zweiten Kinorolle, nach dem Auftritt im Remake von „The Jazzsinger“, spielt sie die alkoholkranke Nachtclubsängerin so gut, dass sie dafür eine Oscarnominierung erhält.

In den 50er Jahren reift die Lee zu einer klassischen Bluessängerin, die ihre Mittel bei einem Arbeitspensum von durchschnittlich drei Langspielplatten im Jahr immer mehr verfeinert und selten in Routine abgleitet. Ihr Cool-Jazz-Album „Black Coffee“ von 1952 gilt heute noch als Meilenstein. Kritiker nennen Peggy Lee in einem Atemzug mit Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan und Frank Sinatra. Der arrangiert ihr ein pompöses Album mit Liebesballaden („The Man I love“), für die Sängerin das beste ihrer Karriere. Eigene Konzerte und regelmäßige Auftritte in den damals so beliebten Personality-Shows im amerikanischen Fernsehen helfen ihr, die typische Peggy-Lee-Performance zu kreieren. Glamour und Understatement, eine softe, warmherzige Stimme, die leicht nasaliert auch hochnäsige Töne anschlägt, eine minimalistische Hohenpriesterin, die noch die größten Emotionen mit unglaublicher Coolness unter Verschluss hält. Wie in „Fever“, dem unterschwelligsten Sexsong, der jemals geschrieben wurde. Ein Bass, ein Schlagzeug und drei Fingerschnipper. Vor diesem spärlichen Hintergrund wird jeder Gesang gnadenlos ausgestellt -  nur wenige Sänger sind in der Lage, das zu überleben. Lee schafft es und fügt noch eigene Strophen hinzu, darunter eine ziemlich ironische über „Captain Smith und Pocahontas“, dem Liebespaar, das für den Gründungsmythos Amerikas steht, der ersten englischen Siedlung auf nordamerikanischem Festland. Peggy Lees ultimative Adaption von "Fever" inspirierte Klaus Theweleit zu seiner weitausholenden Studie über „Pocahontas“.

„Man sagt mir manchmal, ich hätte eine dünne Stimme“, spöttelte Peggy Lee, „aber ich habe weitaus mehr Stimme, als ich jemals nutze. Ich teile sie mir ein, so bleibt sie länger hübsch“. Vielen staubig gewordene Klassiker erweckt sie zu neuem Leben. Beim lahmen Richard-Rodgers-Walzer „Lover“ zieht sie mit Hilfe ihres Arrangeurs das Tempo mächtig an. Schnell galoppierende Rhythmen im Latinsound, ein 37köpfiges Orchester, noch erweitert um acht Percussionisten, ein Riesenhit 1952. Das gewöhnlich monoton gesungene „I’m a Woman“ verwandelt Peggy Lee in eine präfeministisch auftrumpfende Bluesnummer. Und ihre Aufnahme von „Is that all there is“, ebenfalls komponiert von Jerry Leiber und Mike Stoller, beschert ihr 1969 einen Grammy. Dabei will ihr die Plattenfirma das Lied ausreden: viel zu melancholisch und zu lang, sei es, außerdem passen die gesprochenen Strophen gar nicht zum Zeitgeist, wo alles rockt und lärmt.




Über 60 Jahre lang stand Peggy Lee auf der Bühne, mehr als 600 Lieder hat sie aufgenommen, sich stets neu erfunden. In den 70er Jahren sang sie Kompositionen von Simon and Garfunkel, Carol King, Paul McCartney und Randy Newman, später flirtete sie angenehm abgebrüht mit dem Sound der Discowelle. Mit 50plus legte sie sich den Las-Vegas-Schick zu, der sie zur Schwulen-Ikone erhob. Eine etwas füllige Kleopatra war sie da, mit platinweißer Perücke, dicker Schminke und rosa glänzenden Lippen, einer Sonnenbrille mit annähernd tellergroßen Gläsern und echtem Goldklunker, wie sie betonte. Schlagzeilenträchtig war 1986 ihr Aufritt in L.A. auf der Party zum 15. Geburtstag des „Gay and Lesbian Community Service Centers“. Miss Peggy Lee war im Amiland der erste Showstar, der Geld für AIDSKranke eintrieb. Als sie einmal um eine Verlängerung ihres Plattenvertrages bangte - zu Recht, wie sich zeigen sollte – wollte sie ihre letzte LP des Labels „Super Bitch“ nennen. Gesundheitlich schwer angeschlagen war sie schon früh, doch keine Hildegard Knef, die ihre Krankheitsbilder ausschlachtete. 

Als Peggy Lees Kräfte nachließen und sie auf einen Rollstuhl angewiesen war, sang das alte Schlachtross eben sitzend. Und konnte die Magie ihres Fingerschnippens auch so spielend in die hintersten Reihen bringen. Sie war Kettenraucherin, eine toughe Geschäftsfrau und rund um die Uhr von Rechtsanwälten, Managern, Musikern oder Marketingleuten umgeben. In den 90er Jahren verklagte sie den Disney-Konzern erfolgreich auf die Zahlung von zusätzlichen Lizenzgebühren für die Verwendung ihrer Songs, die sie für den Walt Disney Zeichentrickfilm „Susi und Strolch“ schrieb (sie lieh auch der Hundedame Susi ihre Stimme). Der Prozess hatte etwas Mustergültiges, bezog er sich doch auf Medien, wie sie damals, 1955, noch gar nicht auf dem Markt waren. Bis 1998 singt Peggy Lee noch auf der Bühne, am 21.Januar 2002 stirbt sie mit 81 Jahren. „Auch wenn nur eine einzige Person im Publikum sitzt“, erklärte sie, „musst Du dein Bestes geben, denn Du kannst niemals wissen, wer diese Person ist.“ Duke Ellington nannte sie „die Königin“, Nat „King“ Cole weinte bei ihren Liedern und Marlene Dietrich fiel ihr nach einem Konzert zu Füßen und küsste ihre Hände. Und alle drei hatten verdammt Recht





1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

lieber jürgen,
was für ein schöner text über die gute peggy lee. was für eine professionelle künstlerin und ja, was für eine eigenwillige dame, die da ihren weg im "musikgeschäft" gemacht hat. sie wärmte uns herz und untere regionen das ein oder andere mal, weckte sehnsüchte und sorgte für schenkelklopfen. emotional natürlich für mich immer noch OTT (over the top)und weit aufregender als ikonen der weißen musik wie frankie boy. danke dir jedenfalls für die guten worte zu einer künstlerin, die auch stellung beziehen konnte.
your good ol pal constanze