Donnerstag, 30. Oktober 2008

Der Spatz von Paris


Neulich unterhielt ich mich  am Rande einer Tagung mit einem Literaturkritiker über Technik, Fortschritt usw. Gesetzt dem Fall ich fahre in einem Auto mit Navigationssystem, so erzählte ich, was ungemein praktisch sein kann, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, und lande versehentlich in einem tiefen See, weil die Stimme das so eindringlich befohlen hat, dann wäre ich doch sehr froh, ich könnte die Fenster des Fahrzeugs noch mechanisch per Hand herunterkurbeln, um mich so unter Wasser aus dem Auto-Käfig zu befreien. Wäre das Fahrzeug mit einem automatischen Fensteröffner ausgestattet - das ist heute Standard - würde ich wohl sterben. "..was wirklich sehr schade wäre!", erwiderte der Literaturkritiker freundlich. 

Erst  viel später, als wir zur nächtlichen Stunde ins Gästehaus am Tagungsort zurück kehrten, konnten wir unser Gespräch fortsetzen. Kaum stiegen wir aus dem Aufzug, der uns in den dritten Stock brachte, wo sich unsere Zimmer befanden, ging schon das Licht in der ganzen Etage an und die Türen zum Flur öffneten sich ebenso automatisch. Eigentlich schön, sagte der Literaturkritiker, dass jemand mir meine Bedürfnisse erfüllt, noch bevor ich anfange, mich selbst darum zu kümmern.

Bei Amazon.de ist das ja auch der Fall, fiel mir gleich ein. Ich bestelle ein Buch, und sofort erfahre ich, was mir sonst noch gefällt. "Und gefällt's Ihnen wirklich?" Gott sei Dank nicht, antwortete ich. Wie ich eine CD von Juliette Gréco bestellte, wurde mir der Einkauf von Mireille Matthieu empfohlen. "Das ist natürlich schrecklich!", resümierte der Literaturkritiker. Dann verabschiedeten wir uns - jeder ging in sein Zimmer  - und beschlossen das interessante Gespräch bei Gelegenheit fortzusetzen.  

Sonntag, 26. Oktober 2008

Ich bin ja erst 44


Down-Aging ist gerade das große Schlüsselwort im Senioren-Marketing und nicht nur dort. Will heißen: 60-Jährige wollen wie 30-Jährige, 50-Jährige wie 20-Jährige, 40-Jährige wie 10-Jährige  angesprochen werden usw. usf. Nein, das ist nicht die Schuld der Werbung, es ist allein die unsere. Wir wollen und können nicht altern. Nicht Fett ansetzen, nicht zu unseren Falten und auch nicht zu unseren grauen Haaren stehen.

So erklärt sich auch der sensationelle Erfolg der "Sendung mit der Maus". Seit 1971 sind die"Lach- und Sachgeschichten für Fernsehanfänger" fast jeden Sonntag um 11:30 Uhr im Ersten zu sehen. Warum ist der Himmel blau, die Banane krumm, der Schweizer Käse durchlöchert? Solche wichtigen Fragen werden Woche für Woche zur Zufriedenheit aller Kinder beantwortet. 

... aller Kinder? Der durchschnittliche Zuschauer der "Sendung mit der Maus", so erfuhr ich heute, ist 46 Jahre alt. Das ist vermutlich genau die Zielgruppe, die Elke Heidenreich gefehlt hat, um mit ihrer Sendung "Lesen!" auf einen grünen (Quoten)-Zweig zu kommen.

Freitag, 17. Oktober 2008

Mitten im Grün


Vorsicht. Ein Geständnis. Auch ich schreibe an einem Roman. Ernsthaft. Der erste Versuch liegt übrigens einige Jahre zurück und begann verheißungsvoll. Eine wenig glückliche Frau in der zähen Mitte des Lebens bekommt von ihrem verstorbenen Onkel, einem schwulen Opernsänger, einen Bechstein-Flügel vererbt, der ihr Leben verändern soll. Tatsächlich kommt das öde Dasein der Nichte ordentlich in Schwung, durch den Klavierunterricht, den sie nimmt und die eine oder andere Auflage, die der ausgefuchste Onkel an das Erbe geknüpft hat. Nach gut 50 Seiten wird die Nichte - wie von mir durchaus geplant - mit einer Leiche konfrontiert, und damit gerät ihr Leben nun wirklich außer Rand und Band. Dem Roman erging es nicht anders. Ich wurde nicht mehr Herr der Verwicklungen, die ich da angezettelt hatte... So endete der Roman als Fragment. "Gabriele Fuhrmann" adieu!

Seitdem bin ich vorsichtig geworden, mit dem Bekenntnis "Ich schreibe einen Roman." Erst jetzt traue ich mich wieder.  Circa 100 Seiten sind fertig, der Wille, die Geschichte zu einem Ende zu führen, ist eisern, die Prognose  - nicht zuletzt dank meiner zwei wunderbaren Testleserinnen durchaus gut.  "Elsa Stock", so lautet meine neue Liebschaft. Neugierig geworden? Hier ist der (vermutlich) erste Satz:

"Als Elsa im Frühjahr einen Termin in einer fremden Stadt wahrzunehmen hatte, der wieder zu nichts führte außer einem lauwarmen Bedauern auf beiden Seiten, hockte sie hinterher auf einem öffentlichen Platz mitten im Grün, auf den Stufen eines Denkmals." 


Sonntag, 12. Oktober 2008

Ich Gucci, du Prada


Immer gibt es etwas, was mich in den Wahnsinn treibt. Diesmal ist es Business Speech. Viele Stunden schlage ich mich derzeit damit herum. Nein, auf die leichte Schulter nehme ich das nicht. Als Texter ringe ich um gutes, allseits verständliches Deutsch. Ob man zu würdigen weiß, wenn die unschönen Wörter übersetzt werden? 

Point of sale. Was ist das?  Doch nichts anderes als der schnöde Verkaufsort, nur klingt das gar nicht prickelnd. Emotional Selling. Wie bitte? Schon die Steinzeitmenschen wussten: Wer sich beim anderen überzeugend einschleimt, schneidet beim Tauschgeschäft Ziegenfell gegen Esskastanien besser ab. Das wussten die ganz ohne Verkaufstraining und Rhetorikseminar. Doch an "Emotional Selling" führt kein Weg vorbei. Der Begriff  ist urheberrechtlich geschützt und muss zum Lobe des Erfinders - ein Motivationstrainer- verwendet werden.  

Chefs heißen heute ja auch nicht mehr Geschäftsführer, sondern Managing Director oder CEO oder CFO oder einfach nur "Office Director". Doch what's that? Ein Bürovorsteher? Ein Zweigstellenleiter? Der Stubenälteste?  Nein, ein Phantasietitel, den es nicht einmal im Anglo-Amerikanischen gibt. Und was stellen wir mit dem Übrigen an: Assessment-Center, Best Practice Cases, Slotoptimierung Quality... ?

Business Speech ist so, als würde man sich wechselseitig Luxus-Markennamen entgegen schleudern.  Der eine sagt "Prada", der andere "Gucci", der dritte "Christian Dior" und alle nicken, als verstünden sie schon. Doch was zeichnet "Prada" oder "Gucci" gegenüber der Konkurrenz konkret aus? Das wissen nicht einmal die zu sagen, die sich damit schmücken. Und so ist es im Umgang mit Business Speaker(n?) auch: Man fragt nach der Bedeutung der Begriffe, und weiß es nach der Antwort immer noch nicht. Alle diese trendigen Bezeichnungen geben vor, als würde sich ständig alles ändern - Fortschritt, Fortschritt! - und deshalb seien die neuen Begriffe notwendig. Doch würde sich die Innovationsspirale wirklich so atemberaubend schnell drehen, wie uns suggeriert wird, dann wären wir tatsächlich schon längst irrsinnig geworden.