Samstag, 8. November 2008

Die Abgelegten


Als Kind hätte ich tausenderlei Dinge angefangen und schnell wieder aufgegeben, einmal Ansichtskarten gesammelt, das andere Mal Bierdeckel, doch bald wieder damit aufgehört, behauptet meine Mutter. Erinnern kann ich mich nicht. Jetzt holt es mich ein. Immer öfter passiert es, dass ich die Lektüre freiwillig gewählter Romane abbreche. Ich will nicht mehr weiter lesen. 

Die zwei aktuellen "Abgelegten" könnten unterschiedlicher nicht sein. "Flug 2039", ein Roman des amerikanischen Kulturautors Chuck Palahniuk ("Fight Club") und das Debüt von Thomas Pletzinger "Bestattung eines Hundes".  

"Flug 2039" ist die bizarre Geschichte um den Selbstmord der Mitglieder einer radikalen Kirchensekte. Der zynische Ich-Erzähler ist der letzte Überlebende dieser "Credisten". Das Ganze beginnt überraschend und rasant, ist einnehmend skurril, die Sätze sind pointenreich, es liest sich im Galopp, doch nach gut 100 Seiten lahmt es. Es ist Fast-Food-Stil mit kurzen, effektvoll auftrumpfenden Sätzen und einer kalkuliert eingeflickten Bildlichkeit,  aber alles ist nur funkelnde Oberfläche,  groteske Fassade und kein Tiefgang.  Wo bleibt die Geschichte, glaubwürdiges Personal?

Thomas Pletzinger hingegen hat am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert und sieben Jahre an seinem Erstling geschrieben. Das merkt man! Erst bin ich beeindruckt von Sprachgefühl und  Dichte, von der Lakonie des Tons und der sensiblen Annäherung an die Figuren, dann setzt auch hier nach eben der Hälfte eine schreckliche Ermüdung ein. Auf die eigentliche Geschichte (ein Paar in der Krise) wird eine zweite Geschichte draufgesetzt und in der Verschachtelung mit allerlei hochpoetischen Spiegelungen wird die Kunstanstrengung immer lesbarer. Und der Wunsch, elaboriert zu schreiben. Ein epischer Sog, der einen mitreisst, sieht anders aus.

Nun liegen beide Bücher herum wie Liebhaber, die man nach fünf Umarmungen nach Hause geschickt hat, die aber einen Zettel mit ihrer Telefonnummer hinterlassen haben, der mich vorwurfsvoll ansieht. Ex und hopp? Fehlt mir die Geduld? Die Ausdauer? Irgendwie finde ich es nicht in Ordnung, ein Buch nach der Hälfte aufzugeben.  Eine Freundin beendet Romane - wenn überhaupt - nach den ersten zehn Seiten, spätestens nach der Mitte aber haben alle Bücher gewonnen. Habe ich das falsche Timing?  Ist mein Urteil so wackelig? Ich werde darüber nachdenken.

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich denke: Rotwein radikalisiert.
Liebe Grüße

Barbara
die endlich rausgefunden hat, wie sie hier kommentieren kann.

Anonym hat gesagt…

Ich denke, es trifft sich das Phänomen, dass man mit steigendem Buchkonsum und Kritikfähigkeit wählerischer wird - und dass immer mehr Bücher auf dem Markt herumschwimmen...

Ungelesene Bücher können Freude machen, ich bringe sie immer zu den Emmausleuten, die sie weiterverkaufen. So bleibt die Bibliothek Schatzkammer.

Schöne Grüße,
Petra

Anonym hat gesagt…

Das sind die 44 Jahre :-)
Das sind die ewig selben Wege. Die ewig selben Trampelpfade. Das immer besser wissen, was man will und was nicht. Die zunehmende Unlust, sich mit Ungewolltem zu beschäftigen, weil die Erkenntnis darum, dass sich vieles nicht ändern wird, größer und größer wird und das gilt für Verkehrspolitik wie das Verhältnis der Urdramen zueinander wie für Bücher, denn hinter allem steht: der Mensch. Der dringt heraus und trieft und tropft. Und die eigene Hand mag sich kaum noch dem Werk entgegenstrecken, denn ihr Besitzer weiß im Grunde schon alles, wenn er zugeht auf die Überraschungsarmut des Alters :-)

Vermutet eine, die schon immer achtzig Jahre alt war und dennoch ewig ein Kind bleiben wird.

Anonym hat gesagt…

Der Monat ist fast rum und mich würde wirklich interessieren, ob der wahre Grund für die Halbzeitmüdigkeit inzwischen gefunden wurde.

André Pilz hat gesagt…

Hallo!

Na, endlich mal jemand, der Chuck Palahniuk nicht in den Himmel lobt! "Fight Club" fand ich genial, aber ich habe danach nie wieder ein wirklich gutes Buch von ihm gelesen. (das von Dir erwähnte ist dabei das einzige, das ich noch bis zu Ende schaffte, bei den anderen habe ich einfach kapituliert ...)

Viele Grüße,

André

jueb hat gesagt…

Hallo lieber André,
willkommen hier, in meinem kleinen Blog!

Ja, Fight Club werde ich wohl lesen müssen, ich hörte zu viel Gutes darüber..

Herzlichst
jueb