Montag, 20. April 2009

Kunstturnen

Hätte die Schule nur aus Sportunterricht bestanden, ich wäre Jahr für Jahr sitzen geblieben. Besonders große Demütigungen erlitt ich am Stufenbarren. Weil ich mich der in meinen Augen martialischen Übung verweigerte, wurde ich mit der Note 5    „Für’s Antreten, Herr Bräunlein!“ - abgestraft. Jetzt stoße ich zufällig auf zwei Zitate, hingekritzelt auf der Rückseite einer alten Ansichtskarte, die den Jahrhundertkünstler Pablo Picasso in der Blüte seines Alters zeigt – und prompt werde ich an die Sportstunden meiner Schulzeit erinnert. „Begriffe sind wie Turngeräte“, lese ich da... 

Aha.

Nachdem ich meine Abscheu vor Turngeräten abgeschüttelt habe, beginnt mich der Satz zu faszinieren. Er stimmt. So wichtig „Begriffe“ sind, sie sind Hilfsmittel. Mehr nicht. Die sportliche Ertüchtigung nehmen sie einem nicht ab. Nicht einmal das Denken. Und überhaupt. So eindeutig verstehbar, wie „genaue Begrifflichkeiten“ uns immer vergaukeln wollen, ist das Leben nicht. Nein! Da müssen schon ganze andere Geschütze aufgefahren werden.

Auf der Rückseite der Picasso-Postkarte steht noch ein zweites Zitat: „Kunst wirkt tiefer als der Begriff.“ Keine Ahnung, von wem dieser Satz stammt. Aber er erscheint mir noch wahrer zu sein als der erste. Will er uns nicht vor allem eines sagen: Wer ein echter Kunstturner ist, kann zur Not auch ohne Turngeräte auskommen?

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