Donnerstag, 12. Juni 2008

Großer Dichter tot..


Es ist schon ein paar Jahre her, da saß ich im "Einstein" über einem Manuskript gebeugt. Das legendäre Berliner Café in der Kurfürstenstraße  ist stets bevölkert von Medien- und Szeneleuten, manchen Prominenten, nicht wenigen Touristen und meistens rappelvoll. Teuer ist es auch, deshalb bleiben mir die Besuche dort auch im Gedächtnis. Zumal der Ort, eine renovierte Villa, selbst eine Anekdote wert ist. Hier residierte einst die deutsche Stummfilmdiva Henny Porten (1890-1960). 

An diesem Tag nun  betrat ein gepflegtes Paar 65plus die saalartigen Räumlichkeiten und hielt ein wenig angespannt, wie mir schien,  Ausschau nach einem geeigneten Plätzchen. Wie ich hochsah und dem Mann, der einen Bohème-Hut trug, ins Gesicht blickte, bleckte er mir die Zunge. Davon konnte ich mich in den nächsten Stunden nicht mehr erholen. Warum tat der Mann das? Rätselhaft. Später kam die Frau kurz an meinen Tisch und entschuldigte sich für den Mann, guckte dabei auf die Blätter vor mir und fragte, ob ich an einem Buch schreiben würde. Ohne eine Antwort abzuwarten, sagte sie mit mitleidigem Blick: "Vom Bücher schreiben wird man nicht satt. Wir wissen das!"

Die Begegnung ließ mir keine Ruhe, der Mann kam mir bekannt vor. Ich surfte im Internet, mein Verdacht bestätigte sich. Der Zungenblecker war der Dichter Peter Rühmkorf. Warum um Himmels Willen hat er mir bloß seine Zunge entgegengestreckt?, fragte ich später einen Freund. Der guckte mich verständnislos an: "Im 'Einstein' bleckt man eben die Zunge, was denn sonst?".

Jetzt ist Peter Rühmkorf im Alter von 78 Jahren gestorben. Seine blitzgescheiten Gedichte habe ich immer gern gelesen. 20 Jahre hätte ich ihm mindestens noch gegönnt.


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Jürgele (gemein, gell),
da fragt man sich doch, was schlimmer ist: Wenn einem ein Niemand die Zunge bleckt oder wenn einem ein großer Dichter die Zunge bleckt.
Rätselnde Grüße
Petra
(formerly known as Kate-Bush-lookalike)

Anonym hat gesagt…

Ach, das ist eine schöne Episode. Und so typisch für den Rühmkorf. Bei manchen ist man schon geadelt, wenn sie einem die Zunge rausstrecken. Lese grade ein kleines Rühmkorf-Vermächtnis: "Auf Wiedersehen in Kenilworth", ein Katzenmärchen in 13 Kapiteln. Ich hätte ihm auch noch 20 Jahre gewünscht. Aber wer ist eigentlich diese Petra, die Dir dauern schreibt? Gruß & Kuss, TamTam

Anonym hat gesagt…

Dauernd? Ich hab zum allerersten Mal zu schreiben gewagt, ja wusste vorher kaum, dass ich des Schreibens mächtig bin! Und ICH habe nur Grüße entboten, keinen Kuss...*g*
Petra (eine alte fränkische Freundin. Mit der Betonung auf "alt". Besser?)

jueb hat gesagt…

Hallo liebe Petra,

lass dich mal nicht verwirren, TamTam meinte eine Petra C., die freundlicherweise auch hier postet..

Herzlichst an alle:
jueb

Anonym hat gesagt…

Ja, hier gibt's mindestens zwei Petras. Wer ich bin? Wenn ich das so genau wüsste...?