Freitag, 28. November 2008

Pakete schnüren


Sagte man früher: Ich verstehe von Wirtschaft überhaupt nichts, so war das kokett, heute ist es ein Allgemeinplatz. Ein Journalist der Frankfurter Rundschau hörte sich kürzlich bei drei Bankern um und stellte die Frage, ob "das viele verlorene Geld" nun wirklich weg wäre und falls nicht, wo es denn nun geblieben sei. Drei verschiedene Antworten erhielt er, keine leuchtete ein. Das Schöne an der gegenwärtigen Lage ist, dass man wieder naiv fragen darf, Fragen, die früher als kindisch galten. 

Dass Geld arbeitet, haben wir jahrzehntelang nicht nur in der Bankwerbung vernommen und deshalb geglaubt. Nun rücken wir dem verführerischen Satz mit der Lupe zu Leibe: Was ist, wenn mein Geld plötzlich krank wird oder gar arbeitslos? Wie ist es abgesichert und was tut der Betriebsrat? 

Was ich auch nicht verstanden habe, die seitengroße Image-Anzeige von Opel in der Zeitung. Die Bürgschaft, welche die Bundesregierung im Rahmen eines "Rettungspakets" für den Autokonzern übernommen hat, koste dem Steuerzahler keinen Pfennig, wird da behauptet. In der Schule habe ich über die möglichen finanziellen Konsequenzen einer Bürgschaft ganz anderes gelernt.

Die Rede ist derzeit viel von "Maßnahmepaketen", die eilig geschnürt werden. Mit Paketen habe ich meine eigenen Erfahrungen gesammelt. Meine Eltern vertrieben Schleifpapier und Industriebedarf und mehrmals in der Woche mussten Dutzende von Pakete mit Schleifbändern, Schleifscheiben und ähnlichen Produkten mehr gepackt werden. Mit Schnüren kam man da nicht weit. Die Pakete in den Wagen zu wuchten  war jedes Mal Schwerstarbeit. Aber wir wussten wenigstens immer genau, was in den Paketen drin war.

Die Maßnahmenpakete, welche die Bundesregierung gerade schnürt, wirken hingegen mehr als mysteriös, haben allerdings auch einen anderen Sinn: Sie sollen Vertrauen bilden. Denn die Finanzkrise sei eine Vertrauenskrise, wie überall behauptet wird. Auch das verstehe ich eigentlich nicht. Wenn wir uns allen vertrauen würden, wäre wieder alles gut? Und das Geld käme dann automatisch zurück? Ist das ein Weihnachtsmärchen?

Kürzlich hat auch Boris Becker ein Paket geschnürt anlässlich der bevorstehenden Vermählung mit der 25-jährigen Sady Meyer-Wölden, doch die Hochzeit platzte. "Das ganze Paket hat eigentlich gestimmt", lässt sich die Tennislegende rückblickend zitieren. Offenbar war es nicht vertrauensbildend genug.

Freitag, 14. November 2008

Selber schuld?


Christoph Schlingensief spricht in der taz vom 13.11. über seine schwere Krankheit. "Für mich hat Krebs ein zweites Gesicht. Viele Leute, die krank werden, haben sich in ihrem Lebenshaushalt etwas geleistet, was ihnen nicht gutgetan hat." An anderer Stelle wird er noch grundsätzlicher: "Krebs ist gerade überall mehr im Kommen, weil die Verstellung zunimmt. Das größte immunologische Problem ist der Kopf, die durchimmuniserte Gesellschaft, wie es Sloterdijk genannt hat. Diese Köpfe, die sich mit allem schon zurechtgefunden haben. Tief drin ist da eine Störung, der Mensch weiß, dass er das nicht alles aushält." Schließlich kommt Schlingensief nochmals auf sich selbst zu sprechen: "Ich habe gelitten unter dem, was ich mir selber eingebrockt habe."

Das Gesagte befremdet mich, besonders der letzte Teil. Fast schon körperlich spüre ich meine Abwehr. Schlingensiefs Sätze, so verständlich sie in seiner Situation sein mögen, erinnern mich an einen Krankheits- und Körperdiskurs, mit dem man es schon lange übertrieben hat. Was hat mir meine Krankheit zu sagen? Meine Krankheit hat einen tieferen Sinn, ja, ich habe sie gar selber verursacht. Dem, der taub wird, erklärt der Psychologe: Denken Sie mal darüber nach, was Sie in ihrem Leben nie hören wollten.  Dem Kranken werden Verstellung oder Verdrängung unterstellt und dahinter blitzt, wie versteckt auch immer, ein selber schuld auf. In letzter, christlicher Konsequenz - Schlingensief ist überzeugter Katholik - heißt das: Du bist krank, weil du schuldig geworden bist. 

Muss der Kranke, der mit seinem ramponierten Leib schon genügend geschlagen ist, sich auch noch mit Schuldgefühlen zuschütten? Krebs ist einfach Scheiße, die Krankheit sinnlos.

Samstag, 8. November 2008

Die Abgelegten


Als Kind hätte ich tausenderlei Dinge angefangen und schnell wieder aufgegeben, einmal Ansichtskarten gesammelt, das andere Mal Bierdeckel, doch bald wieder damit aufgehört, behauptet meine Mutter. Erinnern kann ich mich nicht. Jetzt holt es mich ein. Immer öfter passiert es, dass ich die Lektüre freiwillig gewählter Romane abbreche. Ich will nicht mehr weiter lesen. 

Die zwei aktuellen "Abgelegten" könnten unterschiedlicher nicht sein. "Flug 2039", ein Roman des amerikanischen Kulturautors Chuck Palahniuk ("Fight Club") und das Debüt von Thomas Pletzinger "Bestattung eines Hundes".  

"Flug 2039" ist die bizarre Geschichte um den Selbstmord der Mitglieder einer radikalen Kirchensekte. Der zynische Ich-Erzähler ist der letzte Überlebende dieser "Credisten". Das Ganze beginnt überraschend und rasant, ist einnehmend skurril, die Sätze sind pointenreich, es liest sich im Galopp, doch nach gut 100 Seiten lahmt es. Es ist Fast-Food-Stil mit kurzen, effektvoll auftrumpfenden Sätzen und einer kalkuliert eingeflickten Bildlichkeit,  aber alles ist nur funkelnde Oberfläche,  groteske Fassade und kein Tiefgang.  Wo bleibt die Geschichte, glaubwürdiges Personal?

Thomas Pletzinger hingegen hat am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert und sieben Jahre an seinem Erstling geschrieben. Das merkt man! Erst bin ich beeindruckt von Sprachgefühl und  Dichte, von der Lakonie des Tons und der sensiblen Annäherung an die Figuren, dann setzt auch hier nach eben der Hälfte eine schreckliche Ermüdung ein. Auf die eigentliche Geschichte (ein Paar in der Krise) wird eine zweite Geschichte draufgesetzt und in der Verschachtelung mit allerlei hochpoetischen Spiegelungen wird die Kunstanstrengung immer lesbarer. Und der Wunsch, elaboriert zu schreiben. Ein epischer Sog, der einen mitreisst, sieht anders aus.

Nun liegen beide Bücher herum wie Liebhaber, die man nach fünf Umarmungen nach Hause geschickt hat, die aber einen Zettel mit ihrer Telefonnummer hinterlassen haben, der mich vorwurfsvoll ansieht. Ex und hopp? Fehlt mir die Geduld? Die Ausdauer? Irgendwie finde ich es nicht in Ordnung, ein Buch nach der Hälfte aufzugeben.  Eine Freundin beendet Romane - wenn überhaupt - nach den ersten zehn Seiten, spätestens nach der Mitte aber haben alle Bücher gewonnen. Habe ich das falsche Timing?  Ist mein Urteil so wackelig? Ich werde darüber nachdenken.