Freitag, 25. Juli 2008

Gratulieren verboten


Weit nach Mitternacht verlassen wir angeheitert und fußlahm ein Fest bei Freunden, der Weg zur S-Bahn ist weit, der Zeittakt der Züge unberechenbar. Mops Paul will auch schlafen. Taxi? Ist Verschwendung, Dekadenz, so hat man's in der Kindheit gelernt. Andererseits haben wir kein Auto, da kann man doch ab und zu....  Das Über-Ich? Schon  hebt einer die Hand. Ich war's nicht, Mutti. Bin aber dankbar, Hartmut. Das Taxi hält. Wir steigen ein.

Schicke Heckflossen und ein mächtiger Kühlergrill. Innen geräumig und ein umwerfender Panoramablick nach draußen. Der Fahrer trägt kurze Hosen, Sandalen und ein Schnurrbärtchen. "Wir fahren", sagt er, "mit dem ältesten Taxi Berlins." "Welches Baujahr?". "1964", sagt unser Chauffeur. 

Ich bin gerührt. Sehr gerührt. Vorsichtig streicht meine Hand über das Sitzfell. Flauschig. Der Mercedes hat sich gut gehalten und kommt mir auf einmal noch geräumiger und schöner vor. Eine ausgeprägte Persönlichkeit. Bei einem Harald-Juhnke-Film hat er mitgespielt und den Hauptdarsteller überlebt. Bei zahlreichen Hochzeitsfeiern war er mit von der Partie, und immer noch drücken sich an seinen Scheiben neugierige Nasen platt. Der Oldtimer ist eine Augenweide, selbst wenn er steht. Ein Held von Vehikel und genau so alt wie ich. Nämlich fast schon..... Ach, vergessen wir's! Und beim Aussteigen frage ich mich, ob ich auch schon so muffelig rieche

Freitag, 18. Juli 2008

"Gedicht der Woche"


Dass verstorbenen Dichtern von befreundeten Kollegen Poetisches nachgerufen wird, ist eine schöne Geste, dass Zeitungen das drucken verständlich. Vor allem dann, wenn der Nekrologschreiber dem Verblichenen in Punkto Prominenz auch noch überflügelt hat. Und das ist, wenn Literaturnobelpreisträger Grass einen Kollegen betrauert, ja so gut wie immer der Fall. In der aktuellen Ausgabe der ZEIT schreibt Grass für den verstorbenen Peter Rühmkorf "Verwaiste Reime". Es ist "das Gedicht der Woche" und fraglos voller Musikalität und geschmeidiger Eleganz und der tote Dichter wird liebreizend poetisch gehätschelt. Und dennoch...

Zweimal taucht ein "Wir" auf - offenbar war das Ehepaar Grass  "vier, fünf Minuten nachdem das Herz stillstand" am Bett des Toten, was zu wissen zwar nicht schaden mag, aber uns eigentlich nichts angeht. Sofort meldet sich im Gedicht das "Ich" zu Wort.  "... noch warm die Stirn auf die ich später, als sie erkaltet schon, drei Tröpfchen Grappa rieb",  so geht's weiter: "Im Schlaf gestorben: schön sein Profil, das ich zu zeichnen nicht zögerte." 

Beide Zeilen beschäftigen mich. Als der Schriftsteller Falko Hennig "Zum Kaffee beim todkranken Dichter Walter Kemposwki" geladen war, und darüber einen Feuilletonartikel schrieb, berichtete er von einem doppelten Grappa, der ihm gereicht wurde. Ist Grappa vielleicht das Abschiedsgetränk alter, sterbender Hochliteraten? Mich beschäftigt auch, dass "das lyrische Ich" sofort zum Zeichenstift griff, dazu noch ohne zu zögern. Doch fast hätte ich es vergessen, Herr Grass ist ja auch begnadeter Maler und Grafiker. Schon frage ich mich: Na, wie ist denn das Bild vom schönen Profil  geworden? Wann wird der "Rühmkorf" endlich ausgestellt?

Ich finde in diesem Gedicht wird nicht Rühmkorf, sondern Grass portraitiert.   

Donnerstag, 10. Juli 2008

My brain is my castle


Kürzlich auf einem Fest lief ein Mädchen wie ein Wildfang einem Fußball hinterher. Nein, die Zehnjährige bolzte über den Rasen, dass die Jungs ins Schwitzen kamen und trotzdem das Nachsehen hatten. Sofort nahm ich Lisas Erzeuger näher unter die Lupe. Die Mutter, eine Chemikerin, die burschikos zu nennen, gewiss keine Beleidigung ist, der Vater ein Bibliothekar, den still und sanft zu bezeichnen, ebenfalls keine üble Nachrede darstellt. Das Mädchen wird lesbisch, dachte ich sofort. In ihr hockt das Hirn eines Mannes. Stand schließlich kürzlich schwarz auf weiß in der Zeitung: „Schwule Männer haben Frauengehirne“ oder - noch wissenschaftlicher - sie haben symmetrische Hirnstrukturen. Stimmt das, ist auch der Umkehrschluss für Lesben richtig.

Ich selbst halte es für durchaus wahrscheinlich, dass mein Gehirn starke Ähnlichkeiten mit dem einer Frau aufweist. Aber nicht unbedingt mit dem von Lisa. Dass jemand mit solcher, ich möchte sagen, animalischer Besessenheit über den Fußballrasen fegt, ist mir schon bei Männern unverständlich. Als Kind habe ich mit Puppen gespielt und statt mit Legosteinen Türmchen zu bauen lieber Pril-Blumen an den Kühlschrank geklebt. Zudem beneide ich Frauen von je her um die beneidenswert umfänglichen Schuhabteilungen. Oh, da sammeln sich viele Indizien für ein symmetrisches Gehirn!

Auch für den elfjährigen Jonathan, der bei seiner Mutter aufwächst, den Vater nie gesehen hat und ständig von einem Pulk an Tanten und weiteren Frauen umgeben ist, gibt es schon eine Prognose. Klarer Fall: in ihm wächst ein weibliches Hirn heran. Kurt, so was wie Jonathans Pflegevater, weiß es besser. Neulich war er mit dem Jungen Schlauchboot fahren und als sie hinterher auf der Wiese Picknick machten, fuhr ein hübsches Mädchen im Bikini vorbei. „Ich und Jonathan“, so erzählt Kurt nicht ohne Stolz, „haben beide parallel den Kopf verdreht.“ Beide Männer haben also asymmetrische Gehirne. Glückwunsch!

Montag, 7. Juli 2008

Die Unentschlossene


Wenn sie doch nur wüsste, was sie will! Und warum ist es so furchtbar schwer, das zu wissen? Schon wenn sie im Restaurant sitzt, ist die Frage, welches Gericht sie wählen soll, eine einzige Überforderung. Sie entscheidet sich zwar, doch noch bevor der Teller kommt, zweifelt sie schon daran, ob das darauf Angerichtete wirklich ihren Geschmack trifft. Freunden und dem eigenen Ehemann gibt sie ständig Rätsel auf. Denn das Gericht, von dem sie einmal verlauten ließ, es sei eines ihrer Lieblingsspeisen, mundet ihr auf einmal nicht mehr, was sie aber nicht daran hindert, kurze Zeit später erneut davon zu schwärmen. Und so geht es ihr mit vielen Dingen. 

Ein Buch lobt sie, ist aber schnell bereit, eine Kehrtwende hinzulegen und daran herumzumäkeln, hat aber ebenso wenig ein Problem, später wieder zurückzurudern, so dass man am Ende gar nicht mehr weiß, welches Urteil da gefällt wurde und man fast meinen kann, sie habe es gar nicht gelesen. Was im übrigen durchaus sein kann. Schließlich weiß sie auch nicht, ob sie gerne liest. Was sie hingegen wenn nicht weiß, dann doch wenigstens ahnt, dass Bücher zu lesen eine sinnvolle Tätigkeit ist, und da will sie doch gerne dabei sein, wobei ihr selbst hier noch ein Gefühl der Verunsicherung bleibt, denn nicht alle Bücher haben den gleichen guten Ruf. Manche gelten sogar als ausgesprochener Schund, so dumm ist sie nun auch nicht, dass sie das nicht schon bemerkt hat. 

Will der Ehemann mit ihr spazieren gehen, weiß sie nicht, ob ja, ob nein, soll der Flur renoviert werden, kann sie sich für keine Farbe entscheiden, von gewichtigeren Dingen wie Konzertbesuchen, Urlaubsreisen oder Anschaffungen von Haustieren gar nicht zu reden. Woher kommt es bloß, dass ich nicht weiß, was ich will?, fragt sie sich selbstkritisch und trinkt eine Tasse Tee, von dem sie sich sicher ist, dass sie ihn zu trinken wünscht. Hat man sie als Kind zu selten gefragt, worauf sie Lust hat und was sie möchte? Hat man ihr in den ersten Lebensmonaten oder Jahren zu wenig Reize und Anregungen geboten, nach denen sie später ihre Hände hätte selbstbewusst ausstrecken können: ja, das da will ich! Sie weiß es nicht. Stets dankbar ist sie deshalb für Empfehlungen, was für sie zu wollen, sinnvoll sei. Dem Arzt, der ihr einen erhöhten Cholesterinspiegel bescheinigt hat, ist sie unendlich dankbar und küßt ihm die Hände. Ihm hat sie einen Satz zu verdanken, den sie mit einer Selbstgewissheit aussprechen kann, an der es in ihrem Leben ansonsten hinten und vorne fehlt: Ich möchte keine Eier essen!