Samstag, 27. Dezember 2008

Sonntag, 14. Dezember 2008

Das Krönungswerk des Teufels


"Endlich habe ich es geschafft", sagte die ältere, seit einigen Jahren verwitwete Dame und strahlt übers ganze Gesicht, "endlich bin ich 80!" 

Umgeben ist sie von Freundinnen und Bekannten und vielen Verwandten, der Tochter, dem Schwiegersohn, den Enkeln, den Schwestern, Nichten und Neffen und sogar einem Mops. Alle halten ein voll gefülltes Sektglas hoch - von den Kindern und dem Mops selbstverständlich abgesehen - und wollen anstoßen, doch noch ist es nicht soweit, die Jubilarin bedankt sich bei allen Gästen fürs Kommen und hat noch etwas mitzuteilen, so viel Zeit müsse schon sein, gerade mit 80, ihr seien nämlich vor kurzem ein paar schöne Zeilen zugeflogen, sinnreiche und einleuchtende Zeilen, die jetzt vorzutragen, ihr mehr als passend erscheine, Zeilen der Heiligen Teresia von Avila, die schon über 425 Jahre tot sei, doch was sie da geschrieben hätte, wäre durchaus von Bestand und es füge sich zudem ausgezeichnet, dass sie als Älteste hier im Raum den kleinen Text vortrüge, der eigentlich ein Gebet sei und den Titel habe "Gebet des älter werdenden Menschen" und so hob Ursula an und rezitierte und alle Gäste, selbst die Allerkleinsten und sogar der erst zweieinhalb Jahre alte Mops, lauschten dem Geburtstagskind mit großem Gewinn:

"O Gott, Du weisst besser als ich, 
dass ich von Tag zu Tag älter 
und eines Tages alt sein werde.

Bewahre mich vor der Einbildung, 
bei jeder Gelegenheit und zu
jedem Thema 
etwas sagen zu müssen.



Erlöse mich von der grossen Leidenschaft, 
die Angelegenheiten
anderer ordnen zu wollen.

Lehre mich, nachdenklich aber nicht grüblerisch,

hilfreich aber nicht diktatorisch zu sein.

Bei meiner ungeheuren Ansammlung von Weisheit 
erscheint es mir ja schade, sie nicht weiterzugeben 
- aber Du verstehst,
o Gott, 
dass ich mir ein paar Freundinnen erhalten möchte.

Lehre mich schweigen 
über meine Krankheiten und Beschwerden.

Sie nehmen zu - und die Lust, sie zu beschreiben, 
wächst von Jahr zu Jahr.


Ich wage nicht, die Gabe zu erflehen, 
mir die Krankheitsschilderungen anderer 
mit Freuden anzuhören, 
aber lehre mich, sie geduldig zu ertragen. 

Lehre mich die wunderbare Weisheit, 
dass ich mich irren kann.


Erhalte mich so liebenswert wie möglich.

Lehre mich, an anderen Menschen 
unerwartete Talente zu
entdecken, 
und verleihe mir, o Gott, die schöne Gabe, 
sie auch zu erwähnen

Ich möchte keine Heilige sein 
- mit ihnen lebt es sich so
schwer -, 
aber eine alte Griesgrämin
ist das Krönungswerk des Teufels."


Mittwoch, 10. Dezember 2008

Gefährlich nah


Was mich an Mode und Lifestyle besonders fasziniert, sind die haarsträubenden Zusammenhänge, die sich von dort aus zum großen Ganzen ziehen lassen. Rückt der Rocksaum nach oben, zieht die Konjunktur an, feiert das Karomuster ein Comeback, gibt es ein konservatives Rollback, und wenn die Krawatten schmäler werden, bricht garantiert bald der Mittelstand zusammen. All das ist totaler Quatsch und völlig richtig. Gestern zum Beispiel suchte ich nach neuen Schuhen und besuchte ausgeruht und kaufwillig Berlins größte und auch teuersten Schuhläden. Was sah ich? Nur schwarze, braune, beige Schuhe. Zum Verwechseln gleich. Ein karminroter Halbschuh war das höchste an Abwechslung. So trostlos und düster und absatzlos wie die wirtschaftliche Lage, ist es in der Herrenabteilung der Schuhläden schon immer gewesen. Muss man, bloß weil man mit einem Penis geboren wurde, immer in so langweiligen Fußkleidern herumlaufen?

Das sind Momente, wo ich gerne eine Frau wäre. Ich beneide sie um ihre Schuhabteilungen. Ach, wenn das alles wäre! Ich beneide sie auch um ihre Handtaschen! 

Fast ganze Kaufhaus-Etagen sind voll davon. Plastik, Hirschleder, Pappe. Prada, Gucci, Fendi. Alle Größen, alle Farben! Was für eine paradiesische Auswahl! Wohin aber sollen Männer Geldbörse, Autoschlüssel, Handy und Kondom, Taschenmesser und iPod stecken? Über Handgelenktäschchen, wie sie in den 70er Jahren modern waren, ist die Herrenhandtaschen-Industrie bis heute kaum hinaus gekommen. Natürlich gibt es Rucksäcke und diverse Umhängemodelle aus LKW-Planen. Aber zählen die wirklich? So laufen Männer bis heute mit von Geldbörsen und Handys ausgebeulten Hosen und Jackentaschen herum. Oder es baumelt am Gürtel der Schlüsselbund - gefährlich nah an den Genitalien. 

Schuh- und Handtaschenabteilungen zeigen erschütternd unverblümt, wie groß die Unterschiede zwischen Männern und Frauen tatsächlich sind. Riesengroß! Früher habe ich diesen Unterschied noch klein geredet, wenn nicht gar bestritten....


Freitag, 28. November 2008

Pakete schnüren


Sagte man früher: Ich verstehe von Wirtschaft überhaupt nichts, so war das kokett, heute ist es ein Allgemeinplatz. Ein Journalist der Frankfurter Rundschau hörte sich kürzlich bei drei Bankern um und stellte die Frage, ob "das viele verlorene Geld" nun wirklich weg wäre und falls nicht, wo es denn nun geblieben sei. Drei verschiedene Antworten erhielt er, keine leuchtete ein. Das Schöne an der gegenwärtigen Lage ist, dass man wieder naiv fragen darf, Fragen, die früher als kindisch galten. 

Dass Geld arbeitet, haben wir jahrzehntelang nicht nur in der Bankwerbung vernommen und deshalb geglaubt. Nun rücken wir dem verführerischen Satz mit der Lupe zu Leibe: Was ist, wenn mein Geld plötzlich krank wird oder gar arbeitslos? Wie ist es abgesichert und was tut der Betriebsrat? 

Was ich auch nicht verstanden habe, die seitengroße Image-Anzeige von Opel in der Zeitung. Die Bürgschaft, welche die Bundesregierung im Rahmen eines "Rettungspakets" für den Autokonzern übernommen hat, koste dem Steuerzahler keinen Pfennig, wird da behauptet. In der Schule habe ich über die möglichen finanziellen Konsequenzen einer Bürgschaft ganz anderes gelernt.

Die Rede ist derzeit viel von "Maßnahmepaketen", die eilig geschnürt werden. Mit Paketen habe ich meine eigenen Erfahrungen gesammelt. Meine Eltern vertrieben Schleifpapier und Industriebedarf und mehrmals in der Woche mussten Dutzende von Pakete mit Schleifbändern, Schleifscheiben und ähnlichen Produkten mehr gepackt werden. Mit Schnüren kam man da nicht weit. Die Pakete in den Wagen zu wuchten  war jedes Mal Schwerstarbeit. Aber wir wussten wenigstens immer genau, was in den Paketen drin war.

Die Maßnahmenpakete, welche die Bundesregierung gerade schnürt, wirken hingegen mehr als mysteriös, haben allerdings auch einen anderen Sinn: Sie sollen Vertrauen bilden. Denn die Finanzkrise sei eine Vertrauenskrise, wie überall behauptet wird. Auch das verstehe ich eigentlich nicht. Wenn wir uns allen vertrauen würden, wäre wieder alles gut? Und das Geld käme dann automatisch zurück? Ist das ein Weihnachtsmärchen?

Kürzlich hat auch Boris Becker ein Paket geschnürt anlässlich der bevorstehenden Vermählung mit der 25-jährigen Sady Meyer-Wölden, doch die Hochzeit platzte. "Das ganze Paket hat eigentlich gestimmt", lässt sich die Tennislegende rückblickend zitieren. Offenbar war es nicht vertrauensbildend genug.

Freitag, 14. November 2008

Selber schuld?


Christoph Schlingensief spricht in der taz vom 13.11. über seine schwere Krankheit. "Für mich hat Krebs ein zweites Gesicht. Viele Leute, die krank werden, haben sich in ihrem Lebenshaushalt etwas geleistet, was ihnen nicht gutgetan hat." An anderer Stelle wird er noch grundsätzlicher: "Krebs ist gerade überall mehr im Kommen, weil die Verstellung zunimmt. Das größte immunologische Problem ist der Kopf, die durchimmuniserte Gesellschaft, wie es Sloterdijk genannt hat. Diese Köpfe, die sich mit allem schon zurechtgefunden haben. Tief drin ist da eine Störung, der Mensch weiß, dass er das nicht alles aushält." Schließlich kommt Schlingensief nochmals auf sich selbst zu sprechen: "Ich habe gelitten unter dem, was ich mir selber eingebrockt habe."

Das Gesagte befremdet mich, besonders der letzte Teil. Fast schon körperlich spüre ich meine Abwehr. Schlingensiefs Sätze, so verständlich sie in seiner Situation sein mögen, erinnern mich an einen Krankheits- und Körperdiskurs, mit dem man es schon lange übertrieben hat. Was hat mir meine Krankheit zu sagen? Meine Krankheit hat einen tieferen Sinn, ja, ich habe sie gar selber verursacht. Dem, der taub wird, erklärt der Psychologe: Denken Sie mal darüber nach, was Sie in ihrem Leben nie hören wollten.  Dem Kranken werden Verstellung oder Verdrängung unterstellt und dahinter blitzt, wie versteckt auch immer, ein selber schuld auf. In letzter, christlicher Konsequenz - Schlingensief ist überzeugter Katholik - heißt das: Du bist krank, weil du schuldig geworden bist. 

Muss der Kranke, der mit seinem ramponierten Leib schon genügend geschlagen ist, sich auch noch mit Schuldgefühlen zuschütten? Krebs ist einfach Scheiße, die Krankheit sinnlos.

Samstag, 8. November 2008

Die Abgelegten


Als Kind hätte ich tausenderlei Dinge angefangen und schnell wieder aufgegeben, einmal Ansichtskarten gesammelt, das andere Mal Bierdeckel, doch bald wieder damit aufgehört, behauptet meine Mutter. Erinnern kann ich mich nicht. Jetzt holt es mich ein. Immer öfter passiert es, dass ich die Lektüre freiwillig gewählter Romane abbreche. Ich will nicht mehr weiter lesen. 

Die zwei aktuellen "Abgelegten" könnten unterschiedlicher nicht sein. "Flug 2039", ein Roman des amerikanischen Kulturautors Chuck Palahniuk ("Fight Club") und das Debüt von Thomas Pletzinger "Bestattung eines Hundes".  

"Flug 2039" ist die bizarre Geschichte um den Selbstmord der Mitglieder einer radikalen Kirchensekte. Der zynische Ich-Erzähler ist der letzte Überlebende dieser "Credisten". Das Ganze beginnt überraschend und rasant, ist einnehmend skurril, die Sätze sind pointenreich, es liest sich im Galopp, doch nach gut 100 Seiten lahmt es. Es ist Fast-Food-Stil mit kurzen, effektvoll auftrumpfenden Sätzen und einer kalkuliert eingeflickten Bildlichkeit,  aber alles ist nur funkelnde Oberfläche,  groteske Fassade und kein Tiefgang.  Wo bleibt die Geschichte, glaubwürdiges Personal?

Thomas Pletzinger hingegen hat am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert und sieben Jahre an seinem Erstling geschrieben. Das merkt man! Erst bin ich beeindruckt von Sprachgefühl und  Dichte, von der Lakonie des Tons und der sensiblen Annäherung an die Figuren, dann setzt auch hier nach eben der Hälfte eine schreckliche Ermüdung ein. Auf die eigentliche Geschichte (ein Paar in der Krise) wird eine zweite Geschichte draufgesetzt und in der Verschachtelung mit allerlei hochpoetischen Spiegelungen wird die Kunstanstrengung immer lesbarer. Und der Wunsch, elaboriert zu schreiben. Ein epischer Sog, der einen mitreisst, sieht anders aus.

Nun liegen beide Bücher herum wie Liebhaber, die man nach fünf Umarmungen nach Hause geschickt hat, die aber einen Zettel mit ihrer Telefonnummer hinterlassen haben, der mich vorwurfsvoll ansieht. Ex und hopp? Fehlt mir die Geduld? Die Ausdauer? Irgendwie finde ich es nicht in Ordnung, ein Buch nach der Hälfte aufzugeben.  Eine Freundin beendet Romane - wenn überhaupt - nach den ersten zehn Seiten, spätestens nach der Mitte aber haben alle Bücher gewonnen. Habe ich das falsche Timing?  Ist mein Urteil so wackelig? Ich werde darüber nachdenken.

Donnerstag, 30. Oktober 2008

Der Spatz von Paris


Neulich unterhielt ich mich  am Rande einer Tagung mit einem Literaturkritiker über Technik, Fortschritt usw. Gesetzt dem Fall ich fahre in einem Auto mit Navigationssystem, so erzählte ich, was ungemein praktisch sein kann, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, und lande versehentlich in einem tiefen See, weil die Stimme das so eindringlich befohlen hat, dann wäre ich doch sehr froh, ich könnte die Fenster des Fahrzeugs noch mechanisch per Hand herunterkurbeln, um mich so unter Wasser aus dem Auto-Käfig zu befreien. Wäre das Fahrzeug mit einem automatischen Fensteröffner ausgestattet - das ist heute Standard - würde ich wohl sterben. "..was wirklich sehr schade wäre!", erwiderte der Literaturkritiker freundlich. 

Erst  viel später, als wir zur nächtlichen Stunde ins Gästehaus am Tagungsort zurück kehrten, konnten wir unser Gespräch fortsetzen. Kaum stiegen wir aus dem Aufzug, der uns in den dritten Stock brachte, wo sich unsere Zimmer befanden, ging schon das Licht in der ganzen Etage an und die Türen zum Flur öffneten sich ebenso automatisch. Eigentlich schön, sagte der Literaturkritiker, dass jemand mir meine Bedürfnisse erfüllt, noch bevor ich anfange, mich selbst darum zu kümmern.

Bei Amazon.de ist das ja auch der Fall, fiel mir gleich ein. Ich bestelle ein Buch, und sofort erfahre ich, was mir sonst noch gefällt. "Und gefällt's Ihnen wirklich?" Gott sei Dank nicht, antwortete ich. Wie ich eine CD von Juliette Gréco bestellte, wurde mir der Einkauf von Mireille Matthieu empfohlen. "Das ist natürlich schrecklich!", resümierte der Literaturkritiker. Dann verabschiedeten wir uns - jeder ging in sein Zimmer  - und beschlossen das interessante Gespräch bei Gelegenheit fortzusetzen.  

Sonntag, 26. Oktober 2008

Ich bin ja erst 44


Down-Aging ist gerade das große Schlüsselwort im Senioren-Marketing und nicht nur dort. Will heißen: 60-Jährige wollen wie 30-Jährige, 50-Jährige wie 20-Jährige, 40-Jährige wie 10-Jährige  angesprochen werden usw. usf. Nein, das ist nicht die Schuld der Werbung, es ist allein die unsere. Wir wollen und können nicht altern. Nicht Fett ansetzen, nicht zu unseren Falten und auch nicht zu unseren grauen Haaren stehen.

So erklärt sich auch der sensationelle Erfolg der "Sendung mit der Maus". Seit 1971 sind die"Lach- und Sachgeschichten für Fernsehanfänger" fast jeden Sonntag um 11:30 Uhr im Ersten zu sehen. Warum ist der Himmel blau, die Banane krumm, der Schweizer Käse durchlöchert? Solche wichtigen Fragen werden Woche für Woche zur Zufriedenheit aller Kinder beantwortet. 

... aller Kinder? Der durchschnittliche Zuschauer der "Sendung mit der Maus", so erfuhr ich heute, ist 46 Jahre alt. Das ist vermutlich genau die Zielgruppe, die Elke Heidenreich gefehlt hat, um mit ihrer Sendung "Lesen!" auf einen grünen (Quoten)-Zweig zu kommen.

Freitag, 17. Oktober 2008

Mitten im Grün


Vorsicht. Ein Geständnis. Auch ich schreibe an einem Roman. Ernsthaft. Der erste Versuch liegt übrigens einige Jahre zurück und begann verheißungsvoll. Eine wenig glückliche Frau in der zähen Mitte des Lebens bekommt von ihrem verstorbenen Onkel, einem schwulen Opernsänger, einen Bechstein-Flügel vererbt, der ihr Leben verändern soll. Tatsächlich kommt das öde Dasein der Nichte ordentlich in Schwung, durch den Klavierunterricht, den sie nimmt und die eine oder andere Auflage, die der ausgefuchste Onkel an das Erbe geknüpft hat. Nach gut 50 Seiten wird die Nichte - wie von mir durchaus geplant - mit einer Leiche konfrontiert, und damit gerät ihr Leben nun wirklich außer Rand und Band. Dem Roman erging es nicht anders. Ich wurde nicht mehr Herr der Verwicklungen, die ich da angezettelt hatte... So endete der Roman als Fragment. "Gabriele Fuhrmann" adieu!

Seitdem bin ich vorsichtig geworden, mit dem Bekenntnis "Ich schreibe einen Roman." Erst jetzt traue ich mich wieder.  Circa 100 Seiten sind fertig, der Wille, die Geschichte zu einem Ende zu führen, ist eisern, die Prognose  - nicht zuletzt dank meiner zwei wunderbaren Testleserinnen durchaus gut.  "Elsa Stock", so lautet meine neue Liebschaft. Neugierig geworden? Hier ist der (vermutlich) erste Satz:

"Als Elsa im Frühjahr einen Termin in einer fremden Stadt wahrzunehmen hatte, der wieder zu nichts führte außer einem lauwarmen Bedauern auf beiden Seiten, hockte sie hinterher auf einem öffentlichen Platz mitten im Grün, auf den Stufen eines Denkmals." 


Sonntag, 12. Oktober 2008

Ich Gucci, du Prada


Immer gibt es etwas, was mich in den Wahnsinn treibt. Diesmal ist es Business Speech. Viele Stunden schlage ich mich derzeit damit herum. Nein, auf die leichte Schulter nehme ich das nicht. Als Texter ringe ich um gutes, allseits verständliches Deutsch. Ob man zu würdigen weiß, wenn die unschönen Wörter übersetzt werden? 

Point of sale. Was ist das?  Doch nichts anderes als der schnöde Verkaufsort, nur klingt das gar nicht prickelnd. Emotional Selling. Wie bitte? Schon die Steinzeitmenschen wussten: Wer sich beim anderen überzeugend einschleimt, schneidet beim Tauschgeschäft Ziegenfell gegen Esskastanien besser ab. Das wussten die ganz ohne Verkaufstraining und Rhetorikseminar. Doch an "Emotional Selling" führt kein Weg vorbei. Der Begriff  ist urheberrechtlich geschützt und muss zum Lobe des Erfinders - ein Motivationstrainer- verwendet werden.  

Chefs heißen heute ja auch nicht mehr Geschäftsführer, sondern Managing Director oder CEO oder CFO oder einfach nur "Office Director". Doch what's that? Ein Bürovorsteher? Ein Zweigstellenleiter? Der Stubenälteste?  Nein, ein Phantasietitel, den es nicht einmal im Anglo-Amerikanischen gibt. Und was stellen wir mit dem Übrigen an: Assessment-Center, Best Practice Cases, Slotoptimierung Quality... ?

Business Speech ist so, als würde man sich wechselseitig Luxus-Markennamen entgegen schleudern.  Der eine sagt "Prada", der andere "Gucci", der dritte "Christian Dior" und alle nicken, als verstünden sie schon. Doch was zeichnet "Prada" oder "Gucci" gegenüber der Konkurrenz konkret aus? Das wissen nicht einmal die zu sagen, die sich damit schmücken. Und so ist es im Umgang mit Business Speaker(n?) auch: Man fragt nach der Bedeutung der Begriffe, und weiß es nach der Antwort immer noch nicht. Alle diese trendigen Bezeichnungen geben vor, als würde sich ständig alles ändern - Fortschritt, Fortschritt! - und deshalb seien die neuen Begriffe notwendig. Doch würde sich die Innovationsspirale wirklich so atemberaubend schnell drehen, wie uns suggeriert wird, dann wären wir tatsächlich schon längst irrsinnig geworden. 

Donnerstag, 18. September 2008

Akku




Ich spür’s. Der Herbst kommt, Blätter fallen, meine Wollsocken haben Löcher, und es wird Zeit, ein Haus zu bauen und über das eigene Altern nachzudenken. Doch noch lasse ich älteren Freunden den Vortritt. Eine gertenschlanke Berliner Freundin, die kürzlich 51 geworden ist, legte bei einer Tasse Kaffee, in die sie Süßstoff (!) warf, ein erschütterndes Geständnis ab: „So viel wie mit 40 halte ich heute nicht mehr aus.“

Später korrigierte sie sich und deutete an, dass ihr der Satz allzu kokett heraus gerutscht war. Stattdessen erzählte sie von ihrer Mutter, die sie kürzlich besucht hat. „Legst Du Dich mittags manchmal hin?, fragte die Tochter beiläufig. Die 81-Jährige, die als rüstig zu bezeichnen durchaus gestattet ist, guckte nur verwundert, als hätte sie sich verhört: „Würde ich mich nach dem Mittagessen nicht regelmäßig hinlegen“, so belehrte die Mutter die Tochter, „könnte ich den Rest des Tages überhaupt gar nichts mehr machen. Ab Mittag sind nämlich meine Batterien leer.“


 

Donnerstag, 28. August 2008

15 Minuten


Was ist das schlimmste, das man extrovertierten, viel zu unruhigen Menschen aufbürden kann? Genau: sie zu zwingen, still zu sitzen, nichts zu tun, am besten auch gar nichts zu denken. Von berufener Seite wurden mir persönlich 15 Minuten aufgebürdet, jeden Morgen gleich nach dem Aufstehen. Sitzposition entspannt, Rücken gerade, Augen geschlossen, und dann Stille, außen darf sich nichts bewegen, innen alles...

So viel Zeit habe ich gar nicht zur Verfügung, dachte ich zunächst und im Ernst, schließlich bin ich Freiberufler mit Hund und habe dies und das und noch viel mehr Tag für Tag zu erledigen. Mein diplomatischer Versuch, das Ganze auf zehn Minuten herunterzuhandeln, wurde abgeschmettert.  Wohl mit gutem Grund. Fünfzehn Minuten sind lang, deutlich länger als zehn. Und Ziel ist es ja zur Ruhe zu kommen...

Was wirklich schwer ist. Wie alle Journalisten bin ich ein Vielfraß des Äußerlichen, der alles in seiner Umgebung aufsaugt - fast zwanghaft -,  weiterverarbeitet und dabei sichtlich aufblüht. Ein Wiederkäuer, wenn auch auf höchstem Niveau. Wahrnehmen nach Innen hingegen... Wie macht man das? Vielleicht ist da gar nichts? Oder viel zu viel, dass es mich gefährlich überschwemmt?  Wahrnehmen nach innen - ehrlich - ich glaub', ich hab's nie praktiziert. Wich lieber aus. Mir fällt Hanna Schygulla ein, die einmal meinte: Das, was man in seinem Leben am meisten gemieden hat, wird man irgendwann später erst recht tun müssen. So gesehen bin ich ja vielleicht früh dran.

Freitag, 15. August 2008

Lisa


Die Toskana sei auch nicht mehr das, was sie einmal war. Tempi passati. Von den Deutschen, die sich hier vor 20, 30 Jahren niedergelassen haben, seien viele zurückgekehrt, die alten Netzwerke gäbe es kaum noch, die Italiener blieben unter sich, sagt mit Wehmut die Vermieterin unseres kleinen Ferienhauses, eine gebürtige Bayerin, die in Chianti Senese eine wunderbare Weberei aufgebaut und das Geburtstagsgeschenk für meine Mutter in Handarbeit hergestellt hat. 

Begeistert bin ich von den  Toskana-Vorurteilen, die zutreffen. Prima gegessen, Preise passabel. Hausweine, bei denen die Zungen schnalzen. Schinken, bei dem der Gaumen orgasmiert. Würden wir in München leben, wären es Schnäppchen. Dann die Siesta, die jeden in die Knie, nein die Horizontale zwingt, der Zypressen-Wahnsinn, die Laufstegtauglichheit der Signorinas ... Nur dass die Italiener stundenlang essen würden, ist zu korrigieren. Nach dem letzten Gang drängeln die Kellner mit dem Espresso. Mein Wunsch, zuerst noch einiges an Wein zu konsumieren, stößt auf Irritationen. 

Aber man fährt ja gar nicht in fremde Länder, um diese zu erkunden, man schüttelt ab, was geht: die eigene Wohnung, das Büro, die immer gleichen Arbeits-, Einkaufs- und Gassiwege, das Umfeld, das man liebt und doch manchmal so an einem klebt, dass man glaubt, man komme nie mehr vom Fleck. Dafür ist Urlaub wohl da. Dass der Klebstoff seine Macht verliert. Nach einer Woche in irgendeiner Ferne verschwinden quälende Gedanken und machen verwegenen Platz. Bei mir ist es diesmal der unbedingte Wunsch, eine Dogge an meiner Seite zu wissen. Eine Dogge wie Lisa eine ist. So schwer, so groß, so zahm, so schön.  Eine Stute von einer Hündin. Doch erst brauche ich das Anwesen dazu. 


Freitag, 25. Juli 2008

Gratulieren verboten


Weit nach Mitternacht verlassen wir angeheitert und fußlahm ein Fest bei Freunden, der Weg zur S-Bahn ist weit, der Zeittakt der Züge unberechenbar. Mops Paul will auch schlafen. Taxi? Ist Verschwendung, Dekadenz, so hat man's in der Kindheit gelernt. Andererseits haben wir kein Auto, da kann man doch ab und zu....  Das Über-Ich? Schon  hebt einer die Hand. Ich war's nicht, Mutti. Bin aber dankbar, Hartmut. Das Taxi hält. Wir steigen ein.

Schicke Heckflossen und ein mächtiger Kühlergrill. Innen geräumig und ein umwerfender Panoramablick nach draußen. Der Fahrer trägt kurze Hosen, Sandalen und ein Schnurrbärtchen. "Wir fahren", sagt er, "mit dem ältesten Taxi Berlins." "Welches Baujahr?". "1964", sagt unser Chauffeur. 

Ich bin gerührt. Sehr gerührt. Vorsichtig streicht meine Hand über das Sitzfell. Flauschig. Der Mercedes hat sich gut gehalten und kommt mir auf einmal noch geräumiger und schöner vor. Eine ausgeprägte Persönlichkeit. Bei einem Harald-Juhnke-Film hat er mitgespielt und den Hauptdarsteller überlebt. Bei zahlreichen Hochzeitsfeiern war er mit von der Partie, und immer noch drücken sich an seinen Scheiben neugierige Nasen platt. Der Oldtimer ist eine Augenweide, selbst wenn er steht. Ein Held von Vehikel und genau so alt wie ich. Nämlich fast schon..... Ach, vergessen wir's! Und beim Aussteigen frage ich mich, ob ich auch schon so muffelig rieche

Freitag, 18. Juli 2008

"Gedicht der Woche"


Dass verstorbenen Dichtern von befreundeten Kollegen Poetisches nachgerufen wird, ist eine schöne Geste, dass Zeitungen das drucken verständlich. Vor allem dann, wenn der Nekrologschreiber dem Verblichenen in Punkto Prominenz auch noch überflügelt hat. Und das ist, wenn Literaturnobelpreisträger Grass einen Kollegen betrauert, ja so gut wie immer der Fall. In der aktuellen Ausgabe der ZEIT schreibt Grass für den verstorbenen Peter Rühmkorf "Verwaiste Reime". Es ist "das Gedicht der Woche" und fraglos voller Musikalität und geschmeidiger Eleganz und der tote Dichter wird liebreizend poetisch gehätschelt. Und dennoch...

Zweimal taucht ein "Wir" auf - offenbar war das Ehepaar Grass  "vier, fünf Minuten nachdem das Herz stillstand" am Bett des Toten, was zu wissen zwar nicht schaden mag, aber uns eigentlich nichts angeht. Sofort meldet sich im Gedicht das "Ich" zu Wort.  "... noch warm die Stirn auf die ich später, als sie erkaltet schon, drei Tröpfchen Grappa rieb",  so geht's weiter: "Im Schlaf gestorben: schön sein Profil, das ich zu zeichnen nicht zögerte." 

Beide Zeilen beschäftigen mich. Als der Schriftsteller Falko Hennig "Zum Kaffee beim todkranken Dichter Walter Kemposwki" geladen war, und darüber einen Feuilletonartikel schrieb, berichtete er von einem doppelten Grappa, der ihm gereicht wurde. Ist Grappa vielleicht das Abschiedsgetränk alter, sterbender Hochliteraten? Mich beschäftigt auch, dass "das lyrische Ich" sofort zum Zeichenstift griff, dazu noch ohne zu zögern. Doch fast hätte ich es vergessen, Herr Grass ist ja auch begnadeter Maler und Grafiker. Schon frage ich mich: Na, wie ist denn das Bild vom schönen Profil  geworden? Wann wird der "Rühmkorf" endlich ausgestellt?

Ich finde in diesem Gedicht wird nicht Rühmkorf, sondern Grass portraitiert.   

Donnerstag, 10. Juli 2008

My brain is my castle


Kürzlich auf einem Fest lief ein Mädchen wie ein Wildfang einem Fußball hinterher. Nein, die Zehnjährige bolzte über den Rasen, dass die Jungs ins Schwitzen kamen und trotzdem das Nachsehen hatten. Sofort nahm ich Lisas Erzeuger näher unter die Lupe. Die Mutter, eine Chemikerin, die burschikos zu nennen, gewiss keine Beleidigung ist, der Vater ein Bibliothekar, den still und sanft zu bezeichnen, ebenfalls keine üble Nachrede darstellt. Das Mädchen wird lesbisch, dachte ich sofort. In ihr hockt das Hirn eines Mannes. Stand schließlich kürzlich schwarz auf weiß in der Zeitung: „Schwule Männer haben Frauengehirne“ oder - noch wissenschaftlicher - sie haben symmetrische Hirnstrukturen. Stimmt das, ist auch der Umkehrschluss für Lesben richtig.

Ich selbst halte es für durchaus wahrscheinlich, dass mein Gehirn starke Ähnlichkeiten mit dem einer Frau aufweist. Aber nicht unbedingt mit dem von Lisa. Dass jemand mit solcher, ich möchte sagen, animalischer Besessenheit über den Fußballrasen fegt, ist mir schon bei Männern unverständlich. Als Kind habe ich mit Puppen gespielt und statt mit Legosteinen Türmchen zu bauen lieber Pril-Blumen an den Kühlschrank geklebt. Zudem beneide ich Frauen von je her um die beneidenswert umfänglichen Schuhabteilungen. Oh, da sammeln sich viele Indizien für ein symmetrisches Gehirn!

Auch für den elfjährigen Jonathan, der bei seiner Mutter aufwächst, den Vater nie gesehen hat und ständig von einem Pulk an Tanten und weiteren Frauen umgeben ist, gibt es schon eine Prognose. Klarer Fall: in ihm wächst ein weibliches Hirn heran. Kurt, so was wie Jonathans Pflegevater, weiß es besser. Neulich war er mit dem Jungen Schlauchboot fahren und als sie hinterher auf der Wiese Picknick machten, fuhr ein hübsches Mädchen im Bikini vorbei. „Ich und Jonathan“, so erzählt Kurt nicht ohne Stolz, „haben beide parallel den Kopf verdreht.“ Beide Männer haben also asymmetrische Gehirne. Glückwunsch!

Montag, 7. Juli 2008

Die Unentschlossene


Wenn sie doch nur wüsste, was sie will! Und warum ist es so furchtbar schwer, das zu wissen? Schon wenn sie im Restaurant sitzt, ist die Frage, welches Gericht sie wählen soll, eine einzige Überforderung. Sie entscheidet sich zwar, doch noch bevor der Teller kommt, zweifelt sie schon daran, ob das darauf Angerichtete wirklich ihren Geschmack trifft. Freunden und dem eigenen Ehemann gibt sie ständig Rätsel auf. Denn das Gericht, von dem sie einmal verlauten ließ, es sei eines ihrer Lieblingsspeisen, mundet ihr auf einmal nicht mehr, was sie aber nicht daran hindert, kurze Zeit später erneut davon zu schwärmen. Und so geht es ihr mit vielen Dingen. 

Ein Buch lobt sie, ist aber schnell bereit, eine Kehrtwende hinzulegen und daran herumzumäkeln, hat aber ebenso wenig ein Problem, später wieder zurückzurudern, so dass man am Ende gar nicht mehr weiß, welches Urteil da gefällt wurde und man fast meinen kann, sie habe es gar nicht gelesen. Was im übrigen durchaus sein kann. Schließlich weiß sie auch nicht, ob sie gerne liest. Was sie hingegen wenn nicht weiß, dann doch wenigstens ahnt, dass Bücher zu lesen eine sinnvolle Tätigkeit ist, und da will sie doch gerne dabei sein, wobei ihr selbst hier noch ein Gefühl der Verunsicherung bleibt, denn nicht alle Bücher haben den gleichen guten Ruf. Manche gelten sogar als ausgesprochener Schund, so dumm ist sie nun auch nicht, dass sie das nicht schon bemerkt hat. 

Will der Ehemann mit ihr spazieren gehen, weiß sie nicht, ob ja, ob nein, soll der Flur renoviert werden, kann sie sich für keine Farbe entscheiden, von gewichtigeren Dingen wie Konzertbesuchen, Urlaubsreisen oder Anschaffungen von Haustieren gar nicht zu reden. Woher kommt es bloß, dass ich nicht weiß, was ich will?, fragt sie sich selbstkritisch und trinkt eine Tasse Tee, von dem sie sich sicher ist, dass sie ihn zu trinken wünscht. Hat man sie als Kind zu selten gefragt, worauf sie Lust hat und was sie möchte? Hat man ihr in den ersten Lebensmonaten oder Jahren zu wenig Reize und Anregungen geboten, nach denen sie später ihre Hände hätte selbstbewusst ausstrecken können: ja, das da will ich! Sie weiß es nicht. Stets dankbar ist sie deshalb für Empfehlungen, was für sie zu wollen, sinnvoll sei. Dem Arzt, der ihr einen erhöhten Cholesterinspiegel bescheinigt hat, ist sie unendlich dankbar und küßt ihm die Hände. Ihm hat sie einen Satz zu verdanken, den sie mit einer Selbstgewissheit aussprechen kann, an der es in ihrem Leben ansonsten hinten und vorne fehlt: Ich möchte keine Eier essen!

Mittwoch, 25. Juni 2008

Mein Kaffeelöffel


Prima verzichten kann ich auf Autos, pilzförmige Propangasheizer, die Europafußballmeisterschaft, Fertigsuppen, Jacken mit Solarmodul auf dem Kragen, in allergrößter Not sogar auf Sex, doch niemals auf mein Lieblingsgetränk. Würde mir Kaffee eines Tages nicht mehr schmecken, wäre ich ein Schatten meiner selbst oder toter Mann.

Ich muss ihn trinken, zu Beginn des Schreibens, am Ende, währenddessen, ja eigentlich immer, um kreativ sein zu können. Einbildung? Ja. Wie das meiste im Leben, Argumente kaschieren nur, und Vorurteile sind gemein. Teetrinker halte ich für esoterisch, blutleer, hanseatisch-gespreizt. Doch man kann sich ja ändern. Alle meine Partner konnten ihren Kaffeekonsum durch mich steigern oder wurden so überhaupt erst zu Kaffeetrinkern. Kein Wunder: Kaffee wird hier stets frisch gemahlen, im Filter aufgegossen, die Milch vorher gewärmt. Irgendetwas Hochgeschäumtes oder mit Sirup aufgepeppte Varianten brauchen wir nicht, ebenso wenig ein halbes Dutzend Abfüllgrößen (von s bis xxl). 

Die Verelendung, in die der Kaffeegenuss heute abgerutscht ist, macht mich depressiv. Uniformierte Coffeshop-Ketten wie Starbucks slumisieren die Städte. Omi-Cafés à la Kuchenparadies sind verschwunden. Die Krönung des Gaumens wird achtlos aus Pappbechern und von Plastikschnäbeln geschlürft. Es ist zum Weinen. So kann ich nur andächtig auf die Knie gehen vor einem Buch wie „Kaffeeklatsch. Die Stunde der Frauen“, geschrieben von der Gourmetjournalistin Katja Mutschelknaus. 

Zugegeben das Werk, das im Schnelldurchlauf 300 Jahre Kaffeekultur bewältigen möchte, gerät im zweiten Teil reichlich anekdotisch, was die allzu lockere Gliederung schon ankündigte. Doch Thema, Aufmachung und Stil sind so reizend, dass man das Buch trotzdem empfehlen möchte. Es half mir zudem meine Abneigung gegenüber Günter Grass endgültig zu zementieren. Beschrieb der doch in "Örtlich betäubt" Damen beim Kaffeekränzchen als "Kuchenfressende Pelztiere mit Hut". Da ist mir sogar Udo Jürgens lieber und vor allem natürlich der Architekturhistoriker Sigfried Giedion. Der schrieb, während er das Aroma seines Kaffees genoss: "Auch in einem Kaffeelöffel spiegelt sich die Sonne."



Donnerstag, 12. Juni 2008

Großer Dichter tot..


Es ist schon ein paar Jahre her, da saß ich im "Einstein" über einem Manuskript gebeugt. Das legendäre Berliner Café in der Kurfürstenstraße  ist stets bevölkert von Medien- und Szeneleuten, manchen Prominenten, nicht wenigen Touristen und meistens rappelvoll. Teuer ist es auch, deshalb bleiben mir die Besuche dort auch im Gedächtnis. Zumal der Ort, eine renovierte Villa, selbst eine Anekdote wert ist. Hier residierte einst die deutsche Stummfilmdiva Henny Porten (1890-1960). 

An diesem Tag nun  betrat ein gepflegtes Paar 65plus die saalartigen Räumlichkeiten und hielt ein wenig angespannt, wie mir schien,  Ausschau nach einem geeigneten Plätzchen. Wie ich hochsah und dem Mann, der einen Bohème-Hut trug, ins Gesicht blickte, bleckte er mir die Zunge. Davon konnte ich mich in den nächsten Stunden nicht mehr erholen. Warum tat der Mann das? Rätselhaft. Später kam die Frau kurz an meinen Tisch und entschuldigte sich für den Mann, guckte dabei auf die Blätter vor mir und fragte, ob ich an einem Buch schreiben würde. Ohne eine Antwort abzuwarten, sagte sie mit mitleidigem Blick: "Vom Bücher schreiben wird man nicht satt. Wir wissen das!"

Die Begegnung ließ mir keine Ruhe, der Mann kam mir bekannt vor. Ich surfte im Internet, mein Verdacht bestätigte sich. Der Zungenblecker war der Dichter Peter Rühmkorf. Warum um Himmels Willen hat er mir bloß seine Zunge entgegengestreckt?, fragte ich später einen Freund. Der guckte mich verständnislos an: "Im 'Einstein' bleckt man eben die Zunge, was denn sonst?".

Jetzt ist Peter Rühmkorf im Alter von 78 Jahren gestorben. Seine blitzgescheiten Gedichte habe ich immer gern gelesen. 20 Jahre hätte ich ihm mindestens noch gegönnt.


Montag, 2. Juni 2008

Multitasking


Gieße gerade die Blumen, da sehe ich die Postbotin ihre Pflicht tun. Sofort stürme ich nach unten, ziehe meine Post aus dem Briefkasten, beim Hochgehen reiße ich Umschläge auf, lese rein, werfe den Packen auf den Tisch. Rechnungen gleich abheften? Denk’ an die Gießkanne, trag’ sie ins Bad, lass’ Wasser einlaufen. Plätschern. Wäsche aus der Maschine ziehen! Drei T-Shirts, zwei Hemden aufgehängt, dann erschöpft aufs Bett gesunken, schalte ich die Glotze ein, zappe, bekomme Hunger, schmiere ein Wurstbrot, öffne ein Gurkenglas. Plätschern. Denk’ an die Gießkanne, luge ins Wohnzimmer, Paris Hilton singt Karaoke, ich ordne Sockenberge .... René Obermann. Obermann? Der Gschpusi von Illner? Emails abrufen! Blick in die Küche. Ich so schlampig. Packe Wurst ein, Gurkenglas zu. Denk’ an die Gießkanne. Griff zum Handy. Anruf? In der Eile, Briefe vom Tisch gefegt. Butter, Abreißfolie bleiben. So viele Brösel, so viel zu tun. Zehn Emails, achtmal Spam. Gießkanne? Is my penis size a painful problem für me?, Spitzel-Telekom, Hemden nass oder trocken bügeln?, Durst hab' ich, aber erst den Zahnarzttermin verschieben. Gieß---

Samstag, 24. Mai 2008

Machen wir...!

Ob ich beim Imbiss Currywurst mit Pommes und Ketchup bestelle, den Installateur beauftrage, die tropfende Heizung zu reparieren oder telefonisch um eine Unterbrechung meines Zeitungsabonnements bitte, immer kommt ein lebhaftes „Machen wir!“.

Was damit wohl gemeint ist? Doch nicht, dass die Hände der Werktätigen die Dienstleistung in Teamarbeit verrichten? Oder dass ich selbst mithelfen muss?

Offenbar soll die „Wir-Form“ Vertrauen und Autorität stiften, die das „Ich“ allein nicht zu erwecken vermag. Das „Ich“ spricht im Namen der Institution, der Belegschaft, des Kollektivs, als wären wir alle real existierende Sozialisten. Vielleicht aber zeigt sich hier nur, was Gesellschaftstheoretiker schon lange behaupten. Vom Postulat sich zu individualisieren haben die Menschen mittlerweile die Schnauze voll. „Ich“ sein ist anstrengend. Zu viel Entbindung macht Angst.

Dienstag, 20. Mai 2008

Der Wassermolch


Kürzlich, es war schon dunkel und mein Flensburger Pils zur Hälfte getrunken, grübelte ich wieder einmal über meinen Ort in der Welt - und ganz allgemein auch - über die Stellung des Menschen im Universum. Dabei dachte ich an den Wassermolch.
Der Wassermolch ist eine Amphibie, die ein wenig wie ein putziger Salamander aussieht und in den Feuchtgebieten Nordamerikas zu Hause ist, sich aber auch im heimischen Aquarium ausgesprochen wohl fühlt. Schneidet man ihm aus Versehen oder gar Böswilligkeit ein Bein ab, so wächst es zügig nach. Spätestens nach drei Monaten hat der Organismus wieder seinen Originalzustand erreicht. Bis zu sechsmal lässt sich der Vorgang wiederholen, ohne dass das Tier deswegen dauerhaft zum dreifüßigen Invaliden wird.

Mir ist kein Körperteil bekannt, das dem Menschen nach Verlust wieder nachwachsen würde. Wo's beim Wassermolch die Natur erledigt, sind wir auf Prothesen angewiesen. Der Mensch kann also unmöglich die Krönung der Schöpfung sein. Diese Erkenntnis macht meine Stellung in der Welt natürlich nicht unbedingt besser.

Mittwoch, 14. Mai 2008

Journalisten auf Emanzipationstrip


„Immer mehr...“ Sätze, die so anfangen, gehören eigentlich in den Müll. Wagen wir’s trotzdem. Immer mehr Journalisten schreiben Romane. Das muss nicht im Fiasko münden. Im Gegenteil. Harald Martenstein, Dirk Kurbjuweit, Alexander Osang oder auch Elke Schmitter haben Akzeptables, zum Teil gar Großartiges zustande gebracht. Dabei schreiben Journalisten-Romanciers stets auf Messers Schneide. Zwar verfügen sie über einschlägige Medienkontakte, die beim Bewerben des Romandebüts sehr nützlich sein können, andererseits warten Kollegen aus dem Feuilleton nur darauf, die Schreibversuche auf fachfremdem Terrain zu zerfetzen. Die Fallhöhe ist enorm, besonders wenn der Rezensierte früher selbst rezensiert hat (womöglich gar sehr garstig).

Warum tun sich Journalisten das also an und schreiben trotzdem Romane? Sind sie zu wenig ausgelastet, langweilt sie das tägliche Einerlei des Redaktionsalltags? Sind sie der Vierspalter, die maximal zu füllen sind, überdrüssig geworden? Oder haben sie gar etwas zu sagen, was sich nur in Romanform mitteilen lässt?

Die Antwort geht weit darüber hinaus. Journalisten führen eine parasitäre Existenz. Und ihre Eitelkeit ist nichts als ein Schutzschild gegen den eigenen Minderwertigkeitskomplex (also verzeihlich). Ohne das Ereignis, die Katastrophe, den Skandal und die Premiere wäre der Journalist ein Nichts (also gar nicht vorhanden), denn über was sollte er sonst berichten? Diese berufsimmanente Schmarotzerei gefährdet die Existenz. So jammern Journalisten an trüben Tagen: „Ich kann nichts anderes als schreiben“.  An noch trüberen Tagen wissen sie, nicht einmal das ist wirklich sicher und kann auch erst am Ende des Berufslebens bewiesen werden.

Bis dahin gibt es nur eine Losung: schreiben, schreiben, schreiben und versuchen, sich dem Parasitismus zu entwinden. Am besten über  das Sprungbrett in die Fiktion. Am besten mit einem Roman, der edelsten Gattung von allen. Gelingt das, ist es gleich eine doppelte Emanzipation. Man hat sich aus der Abhängigkeit des Faktischen befreit. Und als besonderen Triumph einen anderen zum Parasiten gemacht. Vorausgesetzt es findet sich jemand, der einen auch rezensiert.... 

Sonntag, 11. Mai 2008

Neues von Wahrsagern und der guten Fee

Pfingstsonntag. Wetter gut, Essen gut, alles gut. Außerdem zwei Witze und zweimal ein bisschen Lebensphilosophie.

Justus, acht Jahre alt, erzählt mir oft und gern Witze, manchmal auch mehrfach denselben, macht aber nichts. Diesen hörte ich zum ersten Mal: Zwei Wahrsager treffen sich auf einer Wahrsager-Tagung. Fragt der eine den anderen: „Dir geht es gut! Aber wie geht es mir?“

Frau D., gerade 50 geworden, hat vor kurzem ihren Lebenspartner geheiratet. Sie erzählt diesen Witz: Ein älteres Ehepaar ist schon sehr viele Jahre verheiratet. Da kommt eine gute Fee und sagt: „Jeder von Euch hat drei Wünsche frei. Wer mag anfangen?“ Der Ehemann drängelt sich vor. „Ich hätte gerne eine 30 Jahre jüngere Frau.“ „Kein Problem!“, sagt die gute Fee und schnippt mit dem Finger. Voilà der Mann ist 30 Jahre älter. 

Donnerstag, 8. Mai 2008

Miss Peggy Lee - Die Frau, die uns Fieber gab




Ungerecht ist das kollektive Gedächtnis. Als John F. Kennedy  am 19. Mai 1962 seinen Geburtstag in New York feierte, behielt die Nachwelt bis heute nur eines davon in Erinnerung. Wie Norma Jean Baker alias Marilyn Monroe, Sexikone und Ex-Geliebte Kennedys, ein zweideutiges „Happy Birthday, Mr. President“ ins Mikrofon hauchte. Bald darauf starb Monroe, ihr Mini-Ständchen wurde zur Legende und überstrahlte den Rest des Abends, dabei hatte die Party im Madison Square Garden noch ganz anderes zu bieten. Die damals populärste Sängerin Amerikas, auch eine Norma - Norma Delores Egstrom - wechselte gleich mehrmals ihre Garderobe, um den US-Präsidenten mit einem Liederreigen zu beglücken. Ihr Künstlername: Peggy Lee. Nur wenige Stars der Dekade konnten es mit ihr aufnehmen. Sängerin, Songwriterin und Schauspielerin in einem, mit warmer, zurückhaltend modulierender Stimme und einem unübertroffenen Instinkt für Liedmaterial, war Miss Peggy Lee die Ikone des amerikanischen Entertainments. Ausgehend vom Mainstream expandierte ihr musikalisches Talent lässig in alle Richtungen von Blues über Country zu Jazz, Latin und Samba hin zum Pop; Fans und Plattenkäufer irritierte das, Kritiker haderten: War Peggy Lee eine Jazzsängerin? Natürlich war sie eine.

1920 wird Norma Deloris Egstrom in Jamestown geboren, einer 6000 Seelenstadt in North Dakota. Sie hat sieben Geschwister. Die Eltern sind skandinavische Einwanderer, die Mutter stirbt, als Norma vier ist. Die Stiefmutter schlägt sie. In ihrem autobiografischem Musical „Peg“ (1983) - der einzige echte Flop in Peggy Lees Karriere - wird das im Song „One Beating a Day“ verewigt.  Die Familie ist arm, für ein Taschengeld melkt Norma Kühe; in die Kirche geht sie, um heimlich Klavier zu spielen. Als sie 14 ist, zieht die Familie in die nächste Großstadt, mit dem ersten elektrischen Strom kommt auch ein Rundfunkempfänger ins Haus. Bandleader Count Basie ist knisternd zu hören, Normas erstes Vorbild – später wird er sie musikalisch begleiten. Mit 15 singt sie in einer Lokalband und im Radio, ihr erster Mentor gibt ihr den Namen Peggy Lee. Mutig trampt sie mit 18 Dollar in der Tasche nach Hollywood, kehrt aber bald zurück. 1938 dann der Durchbruch – Klarinettist Benny Goodman sieht Peggy Lee bei einem Auftritt in Chicago und heuert sie für sein Swingorchester an, als Ersatz für Sängerin Helen Forrest, die zu Artie Shaw übergelaufen ist. Eine Ochsentour beginnt: Zwei Jahre lang rund um die Uhr Konzerte in Hotels, Theatern und Tanzhallen, Rundfunksendungen und Plattenaufnahmen. Eine Handvoll Hits führt die Newcomerin in die Charts, darunter den veritablen Gassenhauer „Why don’t you do right?“ Dann tat Peggy Lee das, wozu Bandsängerinnen bis heute neigen. Sie heiratet ihren Gitarristen, Dave Barbour, Peggy wird schwanger, doch beim Stillen des Babys komponiert sie schon wieder. Sie unterschreibt einen Plattenvertrag bei Capitol, dem wichtigsten weißen Independent-Label der 40er Jahre. Nachdem ihr Mann eine schwere Magenblutung überlebt hat, schreibt das Paar, trunken vor Euphorie, „Manana“ (1948), eine Nonsense-Nummer mit der Camp-Ikone Carmen Miranda und „The Brazilians“ als Begleitung. Zweieinhalb Millionen Mal verkauft sich die Scheibe, echte Trashkunst, heute wie damals. Barbours Alkoholismus lässt die Ehe langsam zerbröseln, ändert aber wenig an Peggy Lees  Treue. Nach drei weiteren gescheiterten Ehen - „Es waren keine Hochzeiten, eher schon lange Cocktailpartys“ – will es der Star nochmals mit Gatten Nr. 1 versuchen - vier Tage später stirbt Barbour. Wie viel Hingabe Peggy Lee in die Liebe ihres Lebens steckte, lässt der Film „Pete Kelly’s Blues“ (1955) erahnen. In ihrer zweiten Kinorolle, nach dem Auftritt im Remake von „The Jazzsinger“, spielt sie die alkoholkranke Nachtclubsängerin so gut, dass sie dafür eine Oscarnominierung erhält.

In den 50er Jahren reift die Lee zu einer klassischen Bluessängerin, die ihre Mittel bei einem Arbeitspensum von durchschnittlich drei Langspielplatten im Jahr immer mehr verfeinert und selten in Routine abgleitet. Ihr Cool-Jazz-Album „Black Coffee“ von 1952 gilt heute noch als Meilenstein. Kritiker nennen Peggy Lee in einem Atemzug mit Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan und Frank Sinatra. Der arrangiert ihr ein pompöses Album mit Liebesballaden („The Man I love“), für die Sängerin das beste ihrer Karriere. Eigene Konzerte und regelmäßige Auftritte in den damals so beliebten Personality-Shows im amerikanischen Fernsehen helfen ihr, die typische Peggy-Lee-Performance zu kreieren. Glamour und Understatement, eine softe, warmherzige Stimme, die leicht nasaliert auch hochnäsige Töne anschlägt, eine minimalistische Hohenpriesterin, die noch die größten Emotionen mit unglaublicher Coolness unter Verschluss hält. Wie in „Fever“, dem unterschwelligsten Sexsong, der jemals geschrieben wurde. Ein Bass, ein Schlagzeug und drei Fingerschnipper. Vor diesem spärlichen Hintergrund wird jeder Gesang gnadenlos ausgestellt -  nur wenige Sänger sind in der Lage, das zu überleben. Lee schafft es und fügt noch eigene Strophen hinzu, darunter eine ziemlich ironische über „Captain Smith und Pocahontas“, dem Liebespaar, das für den Gründungsmythos Amerikas steht, der ersten englischen Siedlung auf nordamerikanischem Festland. Peggy Lees ultimative Adaption von "Fever" inspirierte Klaus Theweleit zu seiner weitausholenden Studie über „Pocahontas“.

„Man sagt mir manchmal, ich hätte eine dünne Stimme“, spöttelte Peggy Lee, „aber ich habe weitaus mehr Stimme, als ich jemals nutze. Ich teile sie mir ein, so bleibt sie länger hübsch“. Vielen staubig gewordene Klassiker erweckt sie zu neuem Leben. Beim lahmen Richard-Rodgers-Walzer „Lover“ zieht sie mit Hilfe ihres Arrangeurs das Tempo mächtig an. Schnell galoppierende Rhythmen im Latinsound, ein 37köpfiges Orchester, noch erweitert um acht Percussionisten, ein Riesenhit 1952. Das gewöhnlich monoton gesungene „I’m a Woman“ verwandelt Peggy Lee in eine präfeministisch auftrumpfende Bluesnummer. Und ihre Aufnahme von „Is that all there is“, ebenfalls komponiert von Jerry Leiber und Mike Stoller, beschert ihr 1969 einen Grammy. Dabei will ihr die Plattenfirma das Lied ausreden: viel zu melancholisch und zu lang, sei es, außerdem passen die gesprochenen Strophen gar nicht zum Zeitgeist, wo alles rockt und lärmt.




Über 60 Jahre lang stand Peggy Lee auf der Bühne, mehr als 600 Lieder hat sie aufgenommen, sich stets neu erfunden. In den 70er Jahren sang sie Kompositionen von Simon and Garfunkel, Carol King, Paul McCartney und Randy Newman, später flirtete sie angenehm abgebrüht mit dem Sound der Discowelle. Mit 50plus legte sie sich den Las-Vegas-Schick zu, der sie zur Schwulen-Ikone erhob. Eine etwas füllige Kleopatra war sie da, mit platinweißer Perücke, dicker Schminke und rosa glänzenden Lippen, einer Sonnenbrille mit annähernd tellergroßen Gläsern und echtem Goldklunker, wie sie betonte. Schlagzeilenträchtig war 1986 ihr Aufritt in L.A. auf der Party zum 15. Geburtstag des „Gay and Lesbian Community Service Centers“. Miss Peggy Lee war im Amiland der erste Showstar, der Geld für AIDSKranke eintrieb. Als sie einmal um eine Verlängerung ihres Plattenvertrages bangte - zu Recht, wie sich zeigen sollte – wollte sie ihre letzte LP des Labels „Super Bitch“ nennen. Gesundheitlich schwer angeschlagen war sie schon früh, doch keine Hildegard Knef, die ihre Krankheitsbilder ausschlachtete. 

Als Peggy Lees Kräfte nachließen und sie auf einen Rollstuhl angewiesen war, sang das alte Schlachtross eben sitzend. Und konnte die Magie ihres Fingerschnippens auch so spielend in die hintersten Reihen bringen. Sie war Kettenraucherin, eine toughe Geschäftsfrau und rund um die Uhr von Rechtsanwälten, Managern, Musikern oder Marketingleuten umgeben. In den 90er Jahren verklagte sie den Disney-Konzern erfolgreich auf die Zahlung von zusätzlichen Lizenzgebühren für die Verwendung ihrer Songs, die sie für den Walt Disney Zeichentrickfilm „Susi und Strolch“ schrieb (sie lieh auch der Hundedame Susi ihre Stimme). Der Prozess hatte etwas Mustergültiges, bezog er sich doch auf Medien, wie sie damals, 1955, noch gar nicht auf dem Markt waren. Bis 1998 singt Peggy Lee noch auf der Bühne, am 21.Januar 2002 stirbt sie mit 81 Jahren. „Auch wenn nur eine einzige Person im Publikum sitzt“, erklärte sie, „musst Du dein Bestes geben, denn Du kannst niemals wissen, wer diese Person ist.“ Duke Ellington nannte sie „die Königin“, Nat „King“ Cole weinte bei ihren Liedern und Marlene Dietrich fiel ihr nach einem Konzert zu Füßen und küsste ihre Hände. Und alle drei hatten verdammt Recht





Sonntag, 4. Mai 2008

Eingetütet

Wie alle Menschen auf der Welt, besonders hier in Deutschland, bin auch ich zu kurz gekommen. Es fehlt mir an Zuspruch, Aufmerksamkeit, Lob. Seit Eduard-Paul zu uns gezogen ist, hat sich das dramatisch gewandelt. Genauer gesagt, seit er an sich halten kann. Wildfremde Menschen drehen sich um, Radfahrer bremsen, selbst Autofahrer stoppten schon, um mir durch die Fensterscheibe ihre Hochachtung auszusprechen. Ja, genau. Ich bin der Mann, der den Kot seines Hundes mit einem Frühstücksbeutel aufliest und eingetütet im Mülleimer entsorgt. Das beeindruckt die Berliner. Und mich langsam auch. So sehr, dass es mir schon wieder peinlich ist. Deshalb erzähle ich gern folgende Geschichte:

Ein Mann hat vom Leben die Schnauze voll und will sich vom Schnellzug überrollen lassen. Als er sich auf die Schienen legt, greift er in frischen Hundekot. Angewidert geht er davon. Die Aggression gegen sich selbst hat sich nach außen gewendet. Erst gegen den Kot, dann gegen den Hund und schließlich gegen den Halter. Schön, dass er überlebt hat.

 

Donnerstag, 1. Mai 2008

Mein Pflasterstein


Pflastersteine haben nicht den besten Ruf, besonders in Berlin, genauer gesagt in „Kreuzberg 36“. Sie flogen hier in der Oranienstraße oder auch im Wrangelkiez zu oft gegen Schaufensterscheiben, Autobleche und Menschen. Ein Sponti-Spruch von 1968 spornte an: „Unter dem Pflaster liegt der Strand“. In der Hochzeit der 1.Mai-Randale kurz vor der Wende sollen über 10.000 Pflastersteine in böswilliger Absicht aus dem Boden gerissen worden sein. Heute ist Kreuzberg befriedet, die Krawalle sind zu jugendlichen Mannbarkeitsriten verkümmert. Ich beklage das nicht. Ist es doch ein Fortschritt, dass wir unsere Blumenkästen draußen stehen lassen können, ohne deren Verwüstung befürchten zu müssen. 

Außerdem kann man mit Pflastersteinen Schöneres machen als Sachschäden zu produzieren oder Vorgärten flach zu betonieren. Ich weiß das, weil's mir Hartmut Sy beigebracht hat. Für seine Skulpturen verwendet der Berliner Bildhauer  www.hartmut-sy.de neben Stahl, Messing und Zinn auch Granit. Vor einigen Wochen nahm er mich mit zu seinem Händler für Natursteine. Dort konnte ich sehen, wie er aus meterhohen Pflastersteinbergen auswählte mit flinker Hand und strengen Argusaugen. Das Beuteschema blieb rätselhaft. Ein Stein war zu groß, einer zu klein, bei einem behagte die Form nicht, beim anderen die Maserung. Von geschätzten 50 Trümmern passte eines, wenn überhaupt. Da ich das Vertrauen des Künstlers genoss, durfte ich behilflich sein. Ich mühte mich redlich, nicht ganz erfolglos. Aus einem der von mir herausgefischten Pflasterstein wurde etwas durchaus Ansehnliches:


o.T., 2008 - Messing, Granit & Zinn
32 x 13 x 12 cm


Sie können diese Skulptur (und viele andere des Künstlers) ab dem 18. Mai in Berlin in der Galerie Linneborn www.galerie-linneborn.de sehen. Sie dürfen Herrn Sy auch einen Pflasterstein mitbringen. Aber werfen Sie nicht auf ihn!



Dienstag, 29. April 2008

Nu mach' mal halb lang


Unaufhaltsam ist die Lebenserwartung gestiegen. Seit 1900 um fast 35 Jahre. Ich find’s prima. Im Jahr 2050 soll die durchschnittliche Lebenserwartung hierzulande schon bei 90 liegen. Der Zukunftsforscher Raymond Kurzweil behauptet sogar, dass die Wissenschaft in fünfundzwanzig Jahren dazu in der Lage sein wird, das menschliche Leben unbegrenzt zu verlängern. Doch wohin mit den vielen Zeitfenstern, die sich dann vor uns auftun?

Die Antwort ist einfach.

Wer 100 wird, muss nicht alles an einem Tag erledigen. Muss das Abitur nicht in acht Jahren absolvieren. Und schon gar nicht als 17-Jähriger dem Weltmarkt in die Arme rennen, um ihm rund um die Uhr und stets flexibel zur Verfügung zu stehen. Er muss nicht jeden unbezahlten Kaffee kochen und jeden Kopierer mit Papierstau bedienen. Er darf auch mal dubiose Praktika ausschlagen – hochnäsig ist das nicht.

Unter den Bedingungen chronischer Langlebigkeit besteht auch kein Grund, schon in der KITA zwei Fremdsprachen zusätzlich zu lernen, wo doch die Muttersprache kompliziert genug geworden ist, nach mehreren verkorksten Rechtschreibreformen. Man muss die eigenen Kinder auch nicht schon durch Zehnstundentage hetzen. Wer 100 wird, sollte seine beschränkten Lebenskräfte klug auf alle Altersphasen verteilen und es vermeiden, die besten Tages- und Lebenszeiten herzugeben zur Mehrung fremder Gewinne. Wer 100 wird, muss nicht ständig arbeiten, er muss nicht lebenslang lernen, er darf auch einmal innehalten, ein Sabbatjahr einlegen oder wenigstens ein Mittagspäuschen. Und das genehmige ich mir jetzt.

Montag, 28. April 2008

Am Anfang war ..




ein Blog. Aber nicht meiner. Ich bin spät dran.